Montag, 1. August 2016

Bruder Ferdinand

Bruder Ferdinand

Mein Bruder Ferdinand kam zur Welt am 15ten Juli 1825 in dem, seit der Burgunderkriegen berümt gewordenen, Städtchen Murten in der Schweiz. Meine Mutter wohnte dort wegen der freundlichen & milden Lage, wärend mein Vater durch seine Verhandlungn mit den Regierungen der Schweizerkantone & mit dem König von Neapel, wegen Aufstellung von Schweizerregimentern in Neapolitansichen Dienst, vielfach herumzureisen genötigt war.

Ferdinand war, unter seinen Geschwistern der körperlich kräftigste & geistlich weitaus der heiterste. Er hatte auch den bewegtsten Lebenslauf.

Seine Kindheit & Jugend verfloss wie die meinige. Biz zum Jar 1841 teilten wir fortwärend dasselbe Zimmer & waren nie über mehr als ein Paar Tage getrennt. Treue & einander liebende Brüder, waren unsre Neigung gleichwol verschieden. Wenn wir rauften, und das muss ja doch immer vorkommen, so schlug er umbarmherzig zu. Keines von uns kam so oft in Strafe wie er. Nicht wegen hässlichen Dingen, aber weil ihm das Lernen und das Gehorchen nicht passte, & darin war unser Vater streng. Auch später hatten seine Lehrer Kreuz mit ihm & seine Zeugnisse waren selten gut. Noch als Kadet in Berlin brachte er seine Lehrer mitunter durch gute Wize aus dem Konzept & zum Lachen. Aber reiten, Tiere fangen & pflegen, & wenn sie todt waren sie zerlegen, weite Streifzüge durch Wald und Feld machen, ohne Rücksicht auf die Uhr, zimmern, hämmern, bohren, sattlern, aus dem Fell seiner vielgeliebten eingegangenen Fischotter einen Samojeden-Anzug herstellen, keine Semmeln essen, und dafür das Geld von der Mutter verlangen & damit almälig eine ganze Vogelzucht beischaffen, das war seine Freude. Sass eine von uns eingesperrt im berümten grünen Kabinet im Arrest, so versorgte ihm den andere mittelst zum Fenster herbgelassene Schnüre mit Obst oder Speise & was wir besassen war gemeinschaftliches Gut. Die drei jüngern Schwestern waren „die Frazen“, welche wir manchmal der Ehre würdigten, mit uns zu spielen. Exerzirt wurde tapfer mit der Dorf & Beamtenjugend & das Lob das mir wegen besserem Lernen wurde, hat ihm nie im mindesten verstimmt.

Wollte er aber etwas erlernen, dann entwikelte er eine ungewönliche Energie & Leichtigkeit. Als er, 13 järig, nach Neuchatel kam, brachte er in einem Probediktat von vier Zeilen über 50 Ortografische Feler zuwege, troz allen frühere Lektionen. Aber als er, 20 järig, sich zur Auswanderung nach Brasilien entschlossen hatte, da hatte er in kürzester Zeit Englisch & Portugiesisch gelernt, sich zimliche ärztliche  Kenntnisse verschafft, & war dort rasch in das ihm bisdahin ganz fremde Rechnungswesen & Geschäftskorrespondenz, sowie in die dortige Landwirtschaft eingearbeitet. Sogar seine nachlässige Schrift änderte er wo er Bücher zu füren hatte. & seine Briefe waren so fliessend & interessant, wie die eines Schriftstellers.

Sanguiniker, geschah es ihm, dass er manchmal die Dinge oder seine Lage eben so rosig ansah, wie anderemale zu schwarz. Aber immer blieb schliessig dem Kopf obenauf & an körperlichem & gestigem Mut hat es ihm nie gefelt. Er war, wo immer er auftrat, geachtet & beliebt. Leztres wegen seiner unverwüstlichern Heiterkeit, die nie zur Spassmacherei wurde. So herzlich wie ihn, hörte man selten lachen.

Schon im Kadettenhaus, fand er Geltung. Waren auch seine Fortschrittsnotten mittelmässig, & er öfters in Strafe, so ernannte ihn sein Hauptmann doch zum Stubenältesten & und er hätte dazu keinen besseren wälen können. Und wenn von Hof zu Festlichkeiten, Pagen verlangt wurden, welche zu stellen ein Vorrecht des Kadettencorps war, so war Ferdinand gewiss dabei.

Im Herbst 1843 trat er als Portepée-Fänrich ins 58te Infanterieregiment, mit der Station in Deutz ein, & ein Jar später als Offizier desselben Regiments nach Köln übersetzt. Seine Vorgesetzten hielten ihn werth; & auf den benachbarten Schlössern war er ein gern gesehener Gast. Weniger sprachen ihn die Kameraden & der Dienst an. Auch mit dem Vater gab es Verdruss, da Ferdinand, der nie ein guter Finanzier war, einige, übrigens nicht bedeutende Schulden machte, was sein in dieser Beziehung strenger Vater zimlich schwer aufnam. Drastisch schieldern Ferdinands Briefe aus jener Zeit die Schattenseitn in der so hoch bewunderten Preussischen Armee, & mit wunderbarer Bestimmtheit finden sich darin die im Jar 1848 eingetretenen politischen Umwälzungen vorhergesagt.

Eine lange Krankheit, die sich zu einem bösen Typhus entwikelte, brachte Ferdinand
Im Herbst 1845 dem Tode nah. Es war um dieselbe Zeit, wo auch seine älteste Schwester in Böhmen von derselben Krankheit hingerafft wurde. Die damals noch langsame Postverbindung mittelst unterbrochenen Bahnen & Eilwagen (Telegrafen gab es noch gar keine) bewirkten, dass Ferdinand schon wieder Konvaleszent war, als seine Krankheit bekannt wurde. Er schrieb alle Monate, & so war es nicht aufgefallen dass in der Zwischenzeit keine Nachrichten voj ihm kamen.

Zu seiner Kräftigung brachte er den Winter 1845 auf 46 in Bern zu, wo auch meine Mutter & seine zwei Schwestern sich damals aufhielten, bevor leztre nach Böhm zurükerten.

Hier sah Ferdinand einen Verwandten seiner Mutter, Herrn May v. Hünigen, der eine grössere Pflanzung in Brasilien besass, sich aber dort Gesundheitswegen nichtmer aufhalten konnte. Herr v. Wild, ein Freund Mays, besorgte einstweilen die Pflanzung, sehnte sich aber auch heim, & so trug May meinem Bruder an, zunächst die Leitung, & später durch Kauf die Pflanzung selbst zu übernemen. Mit Jubel ging mein Bruder darauf ein. Das war ja die Verwirklicheng seiner Jugendträume in ungeahnt leicher Weise. Schwer allerdings waren dabei die Sorgen seiners Vaters. Dieser war eben durch den Verlust einer Tochter schwer bekümmert, & sein erfarenes Auge sah die Kämpfe & Schwierigkeiten voraus, denen mein Bruder, ohne sie zu kennen, entgegen ging. Dafür hatte lezterer den ganzen Muth & Thatendrang der Jugend, & seine Brife aus Brasilien atmeten Glük & Muth. Siehe z. B. den v. May 1849. Im Jar 1851 verliess H. v. Wild die Pflanzung, die fortan meinem Bruder allein anvertraut war.

Am 25ten Mai 1851 vermälte er sich mit der siebzehnjärigen Donna Amelia vicomtesse v. Sâ-Bethencourt, der Tochter eines benachbarten Plantagenbesizers. Dieser Ehe entsprössten, ausser einigen klein gestorbenen Kindern, noch drei Söhne & fünf Töchter. Im Jar 1856 kaufte Ferdinand die Pflanzung um einen mässigen Preis, jedoch mit der Last einer Leibrente an den frühern Besizer, auf welche der leztre nach 20 Jaren, als er 70 järig geworden war, verzichtete & ein Jar später starb. Ferdinand hätte den Kauf früher abgeschlossen, doch hielt ihn sein stets besorgter Vater davon ab.

Ferdinand hat diesen Kauf nie bereut. Es gab ja schwere Zeiten, wie denn Pflanzerernten unsicher sind, oft drei, vier Jaren misraten, raten aber in einem gten Jar das doppelt wieder einbringen. Er musste seine Energie, seine Beharrlichkeit, seine Gewandtheit in Erfindung von Hülfsquellen & Wirtschaftseinrichtungen anstrengen, aber er hatte diese Eigenschaften; Er war viel krank, aber das tödtliche Fieber hatte nie Gewalt über ihn. Er behandelte seine Schwarzen gut; sie vererten ihn & gehorchten aufs Wort; seine Gattin, voll Gemüt & Verstand & Muth, unterstüzte ihn, regierte auch Monate lang allein, & er genoss die in Brasilien seltenen Ausname eines vollkommenen glüklichen Familiensleben; je länger je mehr geachtet & beliebt, ausgezeichnet durch Ordensverleihung, & durch Consularvertretung der Schweiz, Oestreiche & Preussens; der berümteste Arzt weit und breit, natürlich unentgeldlich, fürte er auf seinen Pflanzungen (denn er gründete eine zweite im  tiefsten Urwald) die Exiztenz eines freien unabhängigen Herrn im vollen Sinn des Worts, wie etwa ein dynastischer Burgherr des Mittelalters. Sein Tod im Jar 1877, nachdem er seine geliebte Gattin schon sieben Jare vorher begraben hatte, ersparte es ihm, die unverständige plözliche Aufhebung der Sklaverei ohne alle Entschädigung der Besizer, zu erleben, die im anno 1888 geschehn ist.

Es gibt jezt in der ganzen Christenheit keinen Ort mehr, wo der Grundbesizer eine solche Vollgewalt genösse, wie er sie hatte. Aber leicht war sein Leben nicht. Die ungezämte Naturgewalt der Tropen, die Krankheiten, die Angriffe der Nachbarn, die Indolenz der Behörden, legen immer neue Aufgaben aufUnd wärend der Schiffskapitän zur See, der Krieger im Feld, nach einer Zeit de Spannung Ruhezeiten haben, steht der Pflanzer alle Tage & alle Jare auf de Wacht. Ferdinand musste manche bittere Zeit von Heimweh, Enttäuschungen, & Einsamkeit durchleben. Wer nicht in jeder Beziehung ein ganzer Mann ist, lass die Hände weg von solch einer Aufgabe.



Herr v. May-Hünigen, von dem Ferdinand die Victoria übernam, war ein Kriegsgenosse meines Vaters gewesen, dann in Holänsdischen Dienst getreten. Durch Beteiligung bei einer Tabakfabrik reich geworden, hat er die Victoria gekauft, sie aber bald satt bekommen. Diese Pflanzung liegt etwa vierzig Kilometer vom Meer aufwärts, am Fluss Cachoeiras, in einer Flussuferlänge von etwa sechs Kilometer & einer Tiefe in den Urwald hinein von vierzig bis dreissig Kilometer. Diese Länge ist dasshalb unbestimmt, weil unbekannt ist, ob die Regierung nicht vielleicht an irgend einem andern, zehn oder zwölf Meilen entfernten Wasselauf eine andre Landkonzession erteilt habe, deren Ausdenug sich irgendwo mit jener der Victoria kreuzen würde. Ist diess der Fall, was sich erst bei fortschreitender Beurbarung nach Jaren zeigt, so teilen dann beide Konzessionen die doppelt verliehene Strecke unter  sich. Der weitaus grösste Teil der Fläche ist Urwald mit mitunter prachtvollen Hölzern. Aber grössere Stüke, als ein Saumtier trägt, können nicht fortgebracht werden, & ein unsinniger Ausgangszoll hindert auch den Verker mit den Zierhölzern, wovon ich bei H. v. May Möbel sah. Die Holzfarben zeigen den Glanz & Maser der schönsten Marmorarten von allen Farben; die Härte dieser Hölzer erheischt ganz besondre Werkzeuge der Tischler, aber Mahagoni & Ebenholz sind trüb & grau im Vergleich zu ihnen. Eine Menge ärztlich noch unbekannte Heilsame Gewächse sind vorhanden. Eines davon, eine Liane deren Saft gegen allerlei Rheumatische & Gichtschmerzen merkwürdig hilft, wurde durch Ferdinand bekannt & und durch einen seiner Neffen analysirt. Aber die schwerfälligen Arztfakultäten Wiens, wo ich vorsprach, zeigten nur Abneigung gegen jeden Versuch damit. Im Brasilien geschehen damit Wunderkuren.

Die Pracht & die Gefaren, die Tiere & Töne des Urwalds sind schon oft geschildert worden. Victoria war einst eine Jesuiten-Niederlassung gewesen, also gewiss ein gut gelegener Ort. Man weiss, dass dieser Orden, abgesehn von einzelnen Plantagen, auch das ganze Land Paraguai als unahhängige Kolonie durch fast 200 Jare besass. Er brachte aber dort nicht viel zu Stand. Die Untertanen waren & blieben, ob weiss oder ob farbig, unwissend, abergläubig, sittenlos & faul, wenn sie auch äusserlich noch so eifrig in Gebet & Gottesdienst waren.

Brasiliens Sitten haben manche Eigentümlichkeit. Lobt man irgend etwa Pferd, Waffe oder dergleichen, so erfolgt die Antwort: Es ist zu ihrer Verfügung. Natürlich gilt solch ein Lob also als eine Zudringlichkeit, eine Art Bettelei. Aber kein Kavalier unterlässt es, die belobte Sache dem Lobenden zu schenken. Gegenüber von Damen & Fräulein ist die grösste Zurükhaltung nötig. Ein Kompliment, Aufheben eines auf den Boden gefallenen Gegenstandes, ein Zuwinken u.s.w. sind Unanständig. Nur in den lezten drei Faschingstagen ist es erlaubt, sich gegenseitig zu besprizen, & werden alle möglichen Finessen dazu gebraucht z. B. Bonbons in der Hand zerschmelzen, Stöke mit mikroskopischen Sprizen, verbogene Schwämme etc. Wenn bem Ende eines Besuchs gemeldet wird, die Pferde zum Heimritt seien gesattelt so ist es ungezogen, sie auch nur kurze Zeit warten zu lassen. Adelsprivilegien gibt es keine. Adelstiteln werden erteilt, aber meist nur an Farbige oder Mulatten & stehn in geringem Ansehn. Die wirkliche Aristokratie sind die Weissen. Ihre Zal von reiner Race ist gering. Als Creolen darf man keinen Weissen bezeichnen. Creole heisst zwar, im Land gewachsen oder im Eigenbau, wird aber für Weisse nicht angewendet.

Die Merzal der Bevölkerung besteht aus Negern & Farbigen von verschiedener Art. Die Indianer in der Nähe der Victoria gehören zu den Botocuden. In merere Stämme verteilt, bekriegen sie sich mit armseligen aber oft vergifteten Waffen. Gestorbene Kinder werden gegessen; Greise & alte Weiber umgebracht; fressen bis zum Plazen, & dann wieder hungern bis sich was findet, füllt das Leben aus. Ein Missionar, den Ferdinand kennen lernte, hatte zwei Jare gebraucht, ehe er nur soweit brachte, einige Kinder durch hingeworfenen glänzende Sachen zu loken, so dass er mit ihnen zu reden versuchen konnte. Misstrauen ist ihre Haupteigenschaft. Ein furchtbar verwundeter, der zu Ferdinand als dem grossen Arzt kam, & dem dieser zu seinem eigenen Erstaunen die zerquetschte Hand rettete, war aus dem Spital von Victoria verschwunden, kaum dass es etwas besser ging.

Auf seiner neuen Pflanzung Salgado, etwe fünfzig Kilometer im tiefsten Wald, westlich von Victoria hatte Ferdinand einen durch andre vertriebenen Stamm solcher Unglüklicher angesiedelt. Er hatte sie schon früher mit jenem Missionar & dem Erzherzog Maximilian einmal besucht & beschenkt. Er beschenkte sie wieder & hoffte sie almälig zu kleinen Arbeiten heranzuziehn. Sie lebten recht vergnügt, frassen alle, auch die ekelhaftesten Küchenabfällen auf, stahlen hie & da mässig- aber auch dieses Leben war ihnen zu kultivirt & eines Morgens waren ihre Hütten leer. Wol aber strekten ihre vergifteten Pfeile manches Stük Vieh nieder, & die Neger Ferdinands kamen in Schreken.

Die Hauptkultur der Victoria war Kaffee. Aber die Lager war für diesen dort etwas zu heiss. (15 Grad südlicher Breite.) Auch erfordert der Kaffee sehr viele Hände, zum Beständigen Behaken, zur Vertilgung des Umkrauts & dann komplizirte Gärungs & Sortirungsarbeiten bei der Ernte. Der Kaffee mit Marke Ferdinands war als einer der bestbehandelte in Bordeaux berühmt & er verkaufte ihn meist erst, wenn er ein Paar Jare alt war, was eine Hauptsache sein soll. Aber das Erträgniss war geringer als erwünscht, besonders, als in spätern Jaren der Kaffeebau im südlichsten Brasilien ungemein zunam & die Preise stark drükte. Ferdinand versuchte daher anders. Zunächst den sogenannten getriebenen Kaffeebau. d. h. die zimlich nachlässige Anpflanzung möglichst grosser nur dürftig behakter Fläche, deren grosse Fläche aber gleichwol in Ganzen grosse Ernten liefert. Diese etwas Baubbauartige Manier behagte aber Ferdinand nicht. Der Kaffeestrauch trägt schon im Dritten Jar aber hört im achten schon wieder auf zu tragen, & solches abgetragenes Land bedekt sich mit bösem Gestrüp & wird wertlos. Man käme also bei grossen flächen Kaffeebau gar nicht aus dem Abbrennen & Roden von neuen Waldstreken heraus.

Besser ging es mit der Baumwolle. Die zwei ersten Ernten frass zwar das Ungeziefer, woran Ferdinand mehr als andre Pflanzer zu leiden hatte, weil der nächste beim Urwald war, dann aber kamen gute Ertäge. Er musste auf solche sehn; denn da seine & seiner Gattin Eltern alle noch lebten, waren die Kinder auf ihre beiderseitige Aussteuer angewiesen. Ferdinands Vater wollte diese möglichst in Europa zurükhalten, weil er der Pflanzung nicht traute; & so war den Ferdinand zu jener Zeit noch auf die Pflanzung schuldig, bei einem dortigen Zinsfuss von 8 Prozent & mehr. Auch Zukerrohr baute Ferdinand mit Erfolg, doch meist nur zur Erzeugung von Rhum. Die wichtigste Neuerung die er einfürte, war die Anlage von Cakaopflanzungen. Der Cakao trägt erst nach 15 bis 20 Jaren, also für die dortigen schnell lebenden Leute eine unabsehbare Zeit. Dann aber trägt er ins Ungemessene fort, & alle Jaren Ernte, die gar keine Arbeit als das Einsammeln, & zum Verkauf Einsaken kosten. Auch Pflege benötigt dieser Baum keine. Unter seinem dichten Schatten wächst kein schädliches Unkraut, wärend der Kaffe immerfort vom Unkraut bedrängt wird & gejätet werden muss. Es benötigt also die Cakaokultur nicht den zehnten Teil der Arbeitskräfte von andern Kulturen, & dass Ferdinand die Geduld hatte, rechtzeitig Cakao zu pflanzen, wird warscheinlich der Rettungsanker seiner Familie in der jezigen bösen Uibergangszeit nach der Sklavenemanzipation sein, & ihnen bis zu bessern Zeiten gut durchhelfen. Denn von 130 Schwarzen blieben nur ein Duzend als freiwillige zimlich teure Arbeiter auf der Victoria zurük. Anderswo entliefen alle, & es kamen Fälle von Selbstmord & von Irrsinn, solcher plözlich aus dem Reichtum von 2 – 300 Schwarzen zu Robinsons gewordenen Pflanzern vor.

Als Ferdinand 1845 nach Brasilien kam, war die Sklaverei schon sehr mild. Die durch England verhinderten afrikanischen hässlichen Sklavenjagden, hatten diess bewirkt. Denn da es sehr schwer war, sich Schwarze zu verschaffen, so suchte jeder Besizer von solchen sie in blühendem & kräftigem Stand zu erhalten. Kauf & Verkauf war gestattet, aber kam selten vor. Die Schwarzen waren nicht rechtlos, sie konnten Eigentum erwerben, vor Gericht Schutz suchen & Zeugenschaft ablegen, arbeiteten nur eine gewisse Zalstunden, trieben in der übrigen Zeit allerlei kleine Industrien, deren Produkte der Herr ihnen abnam, z. B. Gemüsebau, Fischerei, Früchtesammeln, Spinnen etc & hatten ihre besondern Hütten für jede Familie! & wurden vom Herrn bekleidet & beköstigt. Harte Strafen waren Ausnamen. Es war ein ähnlicher Zustand, wie die Oesterreichischen Bauern zur Zeit Maria Teresias. Die Schwarzen mussten in Gegenwart von Weissen baarfuss gehen. Jeder trug den Namen seines Herrn, die der Victoria waren also lauter Steiger. Taufen & Trauungen besorgte der Herr einstweilen; Alle halbe oder ganze Jahre kam ein Geistlicher vorbei, der dann in Pausch den kirchlichen Segen nachtrug. Die Schwarzen konnten sich nach einem bestimmten Tarif loskaufen. Der Loskauf eines Neugebornes Kinds z. B. kostete Zwei Gulden, & so weiter steigend, aber mässig. Doch kaufte keine Mutter ihr Kind frei. Wenn ein Teil des Loskaufs erlegt war, konnte der Schwarze sich entfernen & den Rest almällig nachzalen, musste aber wiederkommen, wenn er säumig war. Bei der Arbeit durfte nicht gesprochen werden. Mit dem Schlag des Feierabends lösten sich dann um so lauter die Zungen. Der Schwarm zog gegens Haus, wo in einem Schupfen die Geräte abgelegt wurden & dann vor die Herrenwonung, um den Abendsegen des Herrn zu verlangen. War ein vornemer Gast da, so bat der Hausherr diesen, an seiner Statt den Segen zu geben, & dann jubelte der Schwarm in seine Hütten. Fälle von Auflenung der Schwarzen oder von Gewalttaten gegen die Herrn waren seit undenklicher Zeit nicht vorgekommen. Wurde ein Herr vom seinen Sklaven getödtet, so mussten freilich nach dem Gesez alle Schwarze dieser Pflanzung hingerichtet werden. Ein Gesez, das kaum je aufgefürt wurde, weil es die des Getödteten Familie ruiniren haben würde.

Ein Beweis, dass es die Schwarzen nicht schlecht hatten, ist, dass es mit der Emanzipation ein ganz ungeheurer Eisenbanverker derselben begann so dass die Bahnen glänzende Geschäfte machten. Bisher an die Scholle gebunden, sahn sie sich nun die Welt an & zwar in Schuhen; mussten also doch das Geld haben um beides zu zalen. Auch die Miedermacher erstikten unter dem Andrang der schwarze Schönen, welche sich jezt wie Freie kleiden wollten. & haufenweise die bequeme Anstellung als Maitressen wälten. Später hatte sich politischer Ehrgeiz der Sklavenfrage bemächtigt. Es wurde ein Gesez & Vorschlag nach dem andern gemacht; die Schwarzen wurden dadurch aufgeregt & schwierig; der Wert der Pflanzungen sank, die Produktion litt. Dann wurde es dem gutmütigen aber schwachsinnigen Kaiser zu lang, & die plözliche Aufhebung der ganzen Sklaverei wurde einfach dekretirt. Ob & was die Pflanzer für Entschädigung bekommen ist noch unbestimmt. Warscheinlich nichts oder so gut wie gar nichts. AS Sie erhalten gar nichts!

Ferdinand war immer unbewaffnet unter den Sklaven; auch in der tiefen Wildniss des Salgado schlief er in offenen Schupfen ohne Wache, mitten unter den, wegen Abwer wilder Tiere bewaffneten Neger. Sie liebten & verehrten ihn, & er hatte auch in seinem Umgang mit seinen Kindern ein merkwürdig ruhiges aber würdevolles Wesen gelernt. Es ist etwas in der Spanischen Grandezza; & das fortwärende Befehlen mit Uiberlegung, gibt Ruhe & Aplomb.

Die Gründung dieser entlegenen Pflanzung war eine Riesenarbeit. Zuerst war eine Strasse durch den Urwald nötig, um hinzugelangen & die Produkte von dort wegzubringen. Zwei Monate arbeitete er mit vierzig kräftigen Männern an diesem Weg. Ein schmaler Saumweg über dem sich das Gestripp in Ellenhöhe & dann die Urwaldriesen in Domhöhe wölben, so dass die Füsse des Reiters & die Last des Saumtiers das Gebüsch streifen. Am schlimmsten waren die Sumpfstellen. Die ganze Mannschaft hatte manchmal das Fieber, ausser Ferdinand, der es nie bekam; Wol aber holte er sich bei dieser Expedition, wo er zwei Monatelang fast nie troken wurde, jenes fürchterliche Tropische Rheuma, das ihm gar arge Leiden bereitete & seinen Tod beschleunigte. Auch seinen liebsten Schwager begrub er bald, der sich vom Fieber bei diesem Wegbau nichtmer erholte. Der einzige Arzt dabei war Ferdinand selbst. Nach gebautem Weg, der für eine weite Umgebung eine Woltat war, den die Regierung bewunderte, & dafür eine Subvention versprach aber nicht gab, kam dann das Roden der Pflanzung selbst. Das Fieber hielt die geschwächte Mannschaft so zurück, dass manche Woche mehr Gestrüpp rükwärts wieder nachwuchs, als vorn gerotet werden konnte. Endlich, endlich fand Ferdinand eines Tages eine --- Laus, & jubelte. Denn dieses & andres Ungeziefer gedeihn erst dann, wenn die Sumpfmiasmen überwunden sind. Aber fruchtbar war dann diese Pflanzung! Koblenz im Urwaldskostüm nannte sie Ferdinand, weil die Lage am Zusamenfluss zweier Flüsse mit jener von Koblenz Aehnlichkeit zeigte.

Noch eine andre Expedition machte Ferdinand längs der Seeküste, quer durch die Mündungen von einer Menge Flüssen & Bächen, durch die er seine schweren Wagen mit langen Reihen von Ochsen bespannt nur mühsam & gefärlich brachte, nach Atalaja. So hiess ein weiter Landstrich, der seiner Frau & deren Geschwistern gehört & worin als Schmarotzerpflanze auf den Palmen in Menge die bekannte Piassava wächst, die damals neu aufkam. Die Schwäger waren zu bequem, um dorthin zu gehen, & da sich bereits Diebe eingefunden hatten, die Piassava wegfürten, nahm sich Ferdinand der Wahre an. Aber er hielt sich zu lang auf. Das Fieber kam wieder unter seine Leute & namentlich unter seinen jüngsten Sohn, den schönen blonden Alberto, mit seinen rabenschwarzen Augen & seiner Apologestalt. Es ist schrecklich, schrieb mir damals Ferdinand, für das durstgequälte Rind nichts, gar nichts anderes zu haben, als dasselbe Wasser das für den Kanken Gift ist. Alberto genass niemer ganz. Müde & leberleidend ergab er sich endlich dem Trunk, & wird wol früh sterben. Es war eine teuer erkaufte Piassava-Ernte. Wer wird wol die folgende halten? Es dauerte ein halbes Jarhundert ehe sie wieder heranwächst.

Ferdinand war ein berümter Arzt geworden. Studien hat er nur durch kurze Zeit vor seiner Auswanderung gemacht; anatomische Neigungen hatte er schon jung; den Rest seiner Kenntnisse erwarb er sich durch Lesn & Erfarung, die zunächst mit der Behandlung der Schwarzen auf der Pflanzung begann. Da er allen unentgeldlich half, für Aermere sogar ein Spital in seiner Nähe errichtete wo er sie ernärte, so trug das viel zu seiner Beliebtheit bei; kostete ihn anderseits viel Zeit & auch Geld. Auch bei der Haute volée hatte er Ruf. Aber wie es eben geht, seine Liebsten konnte er nicht retten. Von Alberto war soeben die Rede. Seine angebetete Gattin bekam mit 44 Jaren zum erstenmal in ihrem Leben eine Krankheit, aber die denkbar ärgste; ein Krebsleiden im Unterleib, an dem sie nach zwei Jaren mit vielen Schmerzen zu Grund ging. Durch Monate schlichen alle Hausgenossen ihrer Schwäche zu lieb, nur auf den Zehen im Haus herum. Ferdinand selbst geschah es, dass er eine Nacht unwol geworden, in der Dunkelheit nach einem unschuldigen Mittel griff & einnam; an den bald darauf eintertenden Immer zunemenden Erscheinungen von Farbenspiel in den Augen, Mundsperre etc erkannte er aber mit Schreken, dass er sich vergriffen & eine grosse Dosis Belladonna geschlukt habe. Er hatte bereits die Sprache verloren, seine Zeichen wurden nicht gut verstanden. Ein Besuch der bei ihnen war & auch ärztliche Kenntnisse besass, merkte endlich die Ursache & gab die nötigen Gegenmittel. Durch Wochen sah Ferdinand alles in Regenbogenfarben.

Auch sein eigenes fürchterliches Rheuma konnte er nicht heilen. Weder die einheimischen Mittel, noch die Aerzte in Bahia, noch jene in Bern oder Wiesbaden richteten anderes aus, als Linderung & mitunter längere Pausen.

Und als eine seiner Töchter von einem hartnäkigen Wechselfieber nicht genesen konnte, brachte er sie nach Bahia, wo es ihr bald besser ging. Ferdinand aber erkältete sich, bekam seine fürchterlichen bis zur Besinnungslosigkeit gehenden Schmerzen, scheint sich dabei den Bruch, den er durch scharfe Ritte sich einst zugezogen, eingeklemmt zu haben- kurz der Bruch wurde operirt, Ferdinand wurde schlechter, blikte mit Tränen des Heimwehs aufs Meer vor den Fenstern; seufzte: dort drüben würden sie mich retten, & starb 62 Jar alt. Dort liegt er auf dem Evangelischen Friedhof begraben.

Ich musste um jene Zeit viel an ihn denken, ohne von seinem Zustand zu wissen. Obschon er mir Antwort schuldete, schrieb ich ihm doch am 10 May. Der Brief kam zu spät; denn er starb am 13ten. Jezt gelangen die Briefe in etwa 20 Tagen nach Victoria; zur Zeit seiner Auswanderung dauerte aber gut zwei Monate.

Von Ferdinands beiden Besuchen in Europa 1861 & 1873 erwänte ich in den Notizen über mein Leben.

Sein Schwiegervater war ein merkwürdiger Mann. Die Sâ gehören bekanntlich zum alten & vornemen Portugiesischen Adel; «Göthenblut» nannte Sie Erzherzog Max. Don Egydio war vermält mit einer Donna Camara auch aus vornemen Haus. Seine Mutter war eine Bethencourt aus der Familie, welche im Beginn des 16ten Jarh. die Azoren entdekte, & dort durch viele Generationen, formell unter der Oberhoheit Frankreich zu dessen Adel sie zälten, in Wirklichkeit aber unabhängig, regiert hatten.

Brasilien war eine Portugiesische Kolonie, & zur Zeit Napoleons hatte sich der Hof aus Lissabon dorthin geflüchtet. Bald nachher riss es sich von Portugal ebenso los, wie die Spanische Kolonien von Spanien, wurde aber nicht Republik sondern wälte sich einen Portugiesischen Prinz zum Kaiser. Es entstand Bürgerkrieg zwischen der legitimistischen Portugiesischen Partei & den Anhängern der Unabhängigkeit. Sâ war einer der Anfürer der Erstern. Diese Partei unterlag; aber Sâ sezte den Widerstand noch lange allein fort. Tod, Krankheit, Abfall lichteten seine Anhänger; zulezte wurde er & seine wenige Getreuen wie ein Wild durch seine Verfolger durch den Urwald hin & her getrieben, entging aber, wenn auch unter schweren Gefaren & Strapazen doch immer seinen Verfolgern wieder. Zulezt beruhigten sich die Leidenschaften. Das Kaisertum stand fest. Sâ kaufte sich mit dem Rest seines Vermögens in der Provinz Ilheos an, & war ein Nachbar der Pflanzung Victoria geworden. Sein frühere Besiz in der Provinz Minas war verwüstet worden. Desshalb hatte auch die Gattin Ferdinands keinen Taufschein. Er war mit der Kirche verbrannt. Egydio Sâ war ein gewaltiger Jäger. Jaguar, Tapir, & alles kleinere Getier wurde seine Beute. An ihn als an den Vornehmsten der Provinz war der Erzherzog Max zur Zeit seiner Brasilienreise angewiesen worden. Da er aber nur Portugiesisch sprach & älter war als der Erzherzog übertrug er dessen Empfang an meinen Bruder.

Kaum angekommen verlangte der Erzherzog in den Urwald zu gehn & dort zu bleiben, & that es auch, trotz Ferdinands Warnung & Bemerkung über die nötigen Vorbereitungen für Proviant & Lagerstätte. Max wollte nichts von rafinements & Kulturpimpelei. Aber nach zwei Tagen kam er mit den Schwarzen Ferdinands & mit seinen eigenen Begleitern in zimlich deroutem Zustand doch wieder auf die Pflanzung & überliess sich nun, durch seinen Versuch belert, unbedingt der Fürung Ferdinands, bei dem er 10 Tage blieb, einen Ausflug zu den Botocuden machte, & von da ab stets in leutseligstem Umgang brieflich mit Ferdinand blieb. Er lud ihn auch nach Mexico ein. Solche Männer sind mir nötig! sagte er; aber Ferdinand hatte von Anfang an das hoffnungslose der Mexicanische Aufgabe eingesehn, & schrieb zur Zeit wo darum verhandelt wurde, er sei überzeugt, dass der Erzherzog sich nicht in dieser Falle begeben werde. Sâ hatte merere Kinder. Amelia die Frau meines Bruders & Ulisses, der ein Opfer der Arbeit um Salgado wurde, scheinen die Perlen darunter gewesen zu sein. Die andern waren mer minder egoistische & indolente Brasilianer.

Ferdinand hinterliess sieben Kinder. Fernando übernahm die Victoria, bis dass einst ruhigere Zeiten eine Teilung gestatten würden; von dem armen Alberto war die Rede; er seste sich auf einer Hacienda in der Umgebung. Cherubino lebt als viel beschäftigter & gut gestellter Eisenbahn-Director bei Rio; eine verheiratete, eine verwitwete, & zwei lediger Schwestern bewohnen auch die Victoria. Salgado, sein Schosskind, musste Ferdinand in seinen lezten Lebensjaren ungern verkaufen. Seine Kräfte gestatteten ihm nichtmer den schweren Ritt dahin & das einsame Leben ohne alle Pflege. Und von den Söhnen & Schwiegersohn hatte keiner die Energie, es zu übernemen. Dagegen kaufte sich der älteste Sohn eine kleine hübsche Cakaopflanzung unweit der Victoria. Die Söhne sind evangelisch, die Töchter katolisch. Aber alle in bester Eintracht.

Die beide Schwiegersöhne, der bald wiedergestorbene Schiffkapitän von Adami, & der Don de Magalhaes-Castro, waren mit Sâ verwandt.

Zur Victoria gehört ein Haus mit mereren Magazinen in der Provinzhauptstadt & Seehafen Ilheos. Solange die Dampfschiffverbindungen nicht bestanden hatte Ferdinand auch ein eigenes Seeschiff. Jezt dauert die Reise nach Bahia zur See drei Tage; Zu Land könnte sie in drei Wochen nicht bestritten werden. Es gibt keine Strassen.

Victoria selbst liegt auf einer Anhöhe am Fluss. Hier sieht kan ds Flussufer; gewönlich verschwindet es unter den bis ins Wasser hineinhängenden Bäumen. Neben dem Herrenhaus befinden sich einige andre Wonhäuser für Gäste, Aufseher oder Kranke; dann die Ingenios d.h. die verschiednen Mülen, Pressen, Stampfen, etc, & die Magazine für Produkte & Geräte. Die abseits liegende Hüttenreihe der Schwarzen ist jezt meist unbewont, oder nur von zeitweis aufgenommenen Taglönern. In besondern Verzäumungen befinden sich Rindvieh & Pferde im Freien; Daran reihen sich die Pflanzungen & ringsum ragt der Urwald empor. Diese bildet eine Zone von 10 bis 30 Meilen Breite längs der Küste. Weiter innen ist dann offenes Land & dort wird dann das Vieh gezogen & dann auf die Plantagen verkauft. Nicht sehr weit sind Diamantengruben, deren Entdekung in den Fünfziger Jaren viel Aufsehn machte & einen Strom von Glüksuchenden anzog. Auch Ferdinand machte mit einer Anzal seiner Leute einen Versuch & fand verschiedene hübsche Diamanten; im Ganzen rentirte der Ausflug aber nicht. Ein eigentümliches Gesez Brasiliens gestatett in der Absicht die Einwanderung zu befördern, dass, wer immer sich auf fremdem Boden ansiedelte, nicht vertrieben werden kann, ohne ihm alle seine Anlagen, also jede Brüke, jeden Graben oder Weg, jede Rodung baar abgelöst wird. Ferdinand meinte: wenn ihrer nur recht viele zu mir kämen. Land habe ich genug übrig, das mir nichts trägt, & diese Ansiedler bringen mir ihrer Rohprodukte zum Kauf, die ich dann, nachdem ich sie auf meinen Maschinen marktfähig umgestaltet habe, mit Nuzen wieder verkaufen kann. So verschieden sind die Zustände in verschiednen Orten.

Obschon sich noch manches merkwürdige über dortige Verhältnisse sich erzälen liesse, mag es genug davon sein. Es genügt um einen Begriff von der Aufgabe & von der Lebensweise Ferdinands zu geben. Durch alle Wechselfälle blieb ihm aber der religiöse Sinn, den uns allen der Unterricht der Mutter einpflanzte, lebendig. Noch in den lezten Jaren schrieb er mir, dass er die geistlichen Lieder Gellerts, in dem ihm von Schwester Elise geschenkten Buche, mit Freude & Trost lese.

Die Hize ist dort nicht grösser als in unsern Sommertagen, doch erzeugt sie mehr Schweiss wegen der grossen Feuchtigkeit der Luft & weil auch die Nächte warm sind. Was in verschlossenen Kästen liegt, schimmelt. Die grösste Kälte, die Ferdinand erlebte, war Zehn Grad Reaumur über Null; sonst aber jeden Winter, der dort in die Zeit unsres Sommers Fällt, fünfzehn Grad. Geheizt wird nie; man zieht sich warm an & trinkt Punsch, wenn die kalten Wintertage kommen.

Wohnhäuser stehen ganz frei & kahl; sonst nistet sich Ungeziefer ein. Doch gibt es willkommene Hausschlangen, welche das Haus von Skorpionen & ähnlichen Schädlingen befreiten. Türen & Fenster stehn stets offen. Ums Haus läuft eine breite gedekte Veranda. Die Wohnzimmer haben keinen Plafond, sondern lassen den verzierten Dachstuhl sehn, der Kühle wegen. Der nie ausgehende Pulvervorrat ist in einem Dachbodenverschlag; Die Küche abseits für sich. Die Haussklaven arbeiten nicht im Freien & waren eine Art bevorzugte Klasse.  Die meisten mögen wol als Dienstboten geblieben sein. Die Weiber sind darunter sehr geschikt in gewissen Arten von Stikereien die in Paris als Negerarbeit bekannt & geschäzt sind. Die Narung ist sehr kräftig; viel Fleisch & starke Weine. Schlecht genärt Europäer gehn zu Grund. Kutschen gibt es nicht weil keine Wege sind. Die zimlich belebte Nachbarschaft von Victoria wurde zu Pferd besucht. Kinder & Proviant kamen in Tragkörbe zu beiden Seiten von Pferden. Weisse durften keinerlei Arbeit vornemen. Wenn mich meine Schwarzen jezt sähen, sagte mir Ferdinand beim Paken seiners Koffers, so verlören sie den Respekt vor mir. Das wird nun auch anders geworden sein.


Marienberg 1891 Albert Steiger 










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