Sonntag, 31. Mai 2015

22/12/1882 (Albert)

Victoria den 22. Dezember 1882

(Zuckerrohr statt Kaffee Bohnen & Telegrafen)

Lieber Albert!

Es ist dies mal etwas lange gegangen bis ich auf Deinen letzten Brief von 19 April antworte. Wenn Du Diesen bekommst sind wir bereits in ein neues Jahr übertreten, welches ich Dir recht glücklich wünsche. Wie ich aus genaustem Brief sehe geht es Dir & Alexandrinen so gut als es eben bei zunehmenden Alter gehn kann & damit muß man sich eben zufrieden geben. Auch mich quälen meine Rheumatismen trotz Spezificum recht häufig; dazu ein nervöses Zittern & Schlaflosigkeit. Zwei widerwärtige Prozesse die ich zu führen habe tragen allerdings auch viel zu Letztern bei. Sonst geht es auch nicht brillant: In Folge der entsetzlichen Dürre von vorigen Sommer sind eine Masse von Caffeebäumen zu Grunde gegangen & bei den elenden Caffeepreisen habe ich keine Lust sie nachzupflanzen. Diese Preise sind keine momentane Baisse, wie sie bei jedem Handelsartikel eintreten kann, sondern dadurch bedingt daß auf der ganzen Erdkugel, wo es nur irgend angeht Caffee gepflanzt wird, so daß sich dessen Produktion in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht hat. Die Reaktion wird natürlich nicht ausbleiben; die niedern Preise werden den Consum vermehren & die Caffeepflanzer decouragiren bis wieder der frühere status quo, wenigstens annähernd, hergestellt ist. Das kann aber lange dauern. So habe ich mich denn entschloßen mich auf Zuckerrohr zu legen; habe bereits ein tüchtiges Aufbau der Zuckermühle nebst Brantweinbrennerei beschäftigt, so daß ich bis April 1884 anfangen kann Zucker & Rum zu fabriziren. Letzterer namentlich gibt sehr schöne Resultate. Ich bin natürlich selbst Baumeister & Mechaniker, als Arbeiter nur meine Neger; Alles Holzkonstruktion, da eiserne Maschinen hier nicht zu repariren sind, & schickt man ein Stück in die Eisengießerei nach Bahia so kann es möglicherweise dort bleiben bis man die ganze Ernte verloren hat. Zuckerrohr & Tabak sind eigentlich die wahren Pflanzen für die Provinz Bahia: für Caffee liegt sie zu nah am Aequator für Cakao zu weit; auch gedeiht es selbst im schlechtesten Boden. Bei Bahia sah ich Felder davon, allerdings in fettem schwarzen Lehmboden, das seit 60 Jahren jährlich geschnitten wurde, ohne je Dünger gesehen oder brach gelegen zu haben. Solches Land besitze ich allerdings nicht, aber einige 15 – 16 Jahre wird es wol in meinen bessern Stellen auch halten. Daß ich meinen existirenden Caffee & Cakao conservire & profitire versteht sich von selbst.

Daß ich so lange nicht im Salgado war hat nicht seinen Grund in Krankheit, wie Du vermuthest, sondern darin daß ich mich meiner Zuckermühle & der Prozesse wegen durchaus nicht von hier entfernen kann; meine Söhne verstehn gar nichts von Mechanik & Bauwesen, & dann könnten mir die Gerichte in Ilheos, während meiner Abwesenheit irgend einen schlechten Streich spielen. Denn ich bin auch mein eigner Advokat & habe Niemand der mich dort vertritt. Eine Heidenarbeit gerade zur Zeit wo die Arbeitskraft & das Gedächtniß stark im Abnehmen sind & ich gern etwas Ruhe haben möchte.

Meine Söhne helfen mir sonst so viel sie können; leider ist Fernandos Gesundheit in der letzten Zeit ziemlich baufällig geworden & da leider Thätigkeit sich auf Feldarbeit beschränkt kann er nicht viel thun. Alberto ist weniger zuverläßig als sein älterer Bruder, obwol er sich in der letzten Zeit bedeutend gebessert hat.

Kerubino, den ich nun seit bald drei Jahren nicht gesehn habe, ist immer bei seiner Eisenbahn in der Nähe von Rio angestellt; man ist überaus mit ihm zufrieden, belobt ihn öffentlich & privatim, aber diese Zufriedenheit ist rein platonischer Natur & seine Stellung wird um nichts verbessert, obwol die Bahn prachtvoll Dividenden zahlt. Sie ist gerade das Gegenteil den meisten hiesigen Eisenbahnen von welchen in einer englischen Zeitung, allerdings mit etwas Uebertreibung, stand: Sie fangen an einem Sumpf an, endigen an einem Baumstamm & durchlaufen eine Wüste. Auch hier in Ilheos wird eine Bahn nach dem Innern projektirt; diese würde allerdings in ganz entgegengesetzten Verhaltnißen sein: zwei wichtige Städte verbindend & durchweg fruchtbares zum Teil schon kultivirtes Land durchneidend. Mit Ausnahm der reichen, vollständig cultivirten & stark bevölkerten Provinzen von Rio & São Paulo, sind Eisenbahnen hier ein Anachronismus, ein Spielerei um der nationaler Eitelkeit zu schmeicheln. Die Regierung garantirt den Aktionären 7% so lange die Bahn diese 7% feucht selbst einbringt. Zu diesem Zinsfuß findet sich Kapital so viel man will in England. Nun wird recht verschwenderisch liederlich gebaut & wenn die Bahn fertig ist ebenso verwaltet; unsinnig hohe Fracht & Passagirpreise verlangt damit ja nicht zu viel Fracht oder Personen mitfahren & möglicherweise die Bahn einen Ertrag von 7% geben könnte, wodurch die Zinsengarantie der Regierung eingebüßt würde; am liebsten wäre es wol der Verwaltung die Züge führen ganz leer; das würde die Arbeit vermindern. Wenn nur jeden Tag ein Zug von Anfang bis zum Ende der Bahn über die Schienen humpelt so ist das Pensum gemacht. Ich selbst fuhr letzthin auf solcher Eisenbahn von Bahia nach einem 60 Kilometer entfernten kleinen Nest: wir waren 15 Personen & etwa 10 Centner Tabak – Alles was mitfuhr. Dagegen liefen neben der Bahn die alten traditionellen Maulthierzüge massenweise & schwerbeladen, den ganzen Transport vermittelnd. Ein wahrer Jux.

"Wir haben so & so viel tausend Kilometer Eisenbahn in unserer Provinz, damit werden wir die Emigration, wie in den Vereinigten Staaten, massenweise anziehn". Das einzige was aber bis jetzt massenweise erschienen ist sind Steuern & geht de mal en pis. Vor 20 Jahren wußte man hier gar nicht was das Wort Steuern bedeutet. Mit den Telegraphen, die gleichfalls ein Heidengeld kosten, ist es ebenso: sie dienen nur per Zufall hie & da. Als ich z. B. letzthin von Bahia hieher zurückkehrte telegraphirt ich kurz vor meiner Einschiffung um die Pferde nach Ilheos zu bestellen. 24 Stunden später in Ilhéos angekommen fand ich keine Pferde & zu Hause angelangt wußte niemand etwas von einem Telegramm. Da endlich als wir beim Mittagessen saßen, erschien mein Telegramm, 30 Stunden nachdem ich es aufgegeben. Und dabei kostet es ungefähr das vierfache von dem was man bei uns zahlt. Auch kann man nicht telegraphiren wenn man will. So z. B. wenn ich von hier nach Bahia telegraphiren will, kann ich es mir zwischen 7 & 9 Uhr Morgens & Abends thun. Aber auch das ist nicht sicher; & es ist mir schon vorgekommen nach dem Telegraphen Bureau eine Depesche zu schicken, & zwar zur vorschriftmäßigen Zeit, welche unverrichtet zurückkam: Der Herr Telegraphist sei fischen gegangen, hieß es.

Mit der Sklavenfrage hingegen geht es noch recht glimpflich & hat es kaum den Anschein daß so bald daran gerüttelt wird. Die Herr Deputirten würden allerdings am liebsten mit einem Federstrich die ganze Sklaverei im Lande abschaffen. Es sind fast durchgängig arme Advokaten die nie einen Sklaven besessen haben, mit Neid auf Diejenigen blicken die welche besitzen, dabei so bornirt daß sie nicht bedenken daß sie bei einer solchen Umwälzung, die fast alle Einkünfte des Staats ins Stocken bringen würde, ihre schönen Dieten verlieren würden. Kein großer oder kleiner Grundbesitzer sitzt in der Deputirten Kammer, kein Kaufmann, kein Fabrikant: nur Advokaten; das Proletariat im Frack; Leute die kein Interesse am Wohl & Weh des Landes nehmen; nicht einmal die notdürftigste Bildung besitzen, von Kenntnißen gar nicht zu sprechen. Zum Glück ist der Senat aus ganz andern Elementen zusamengesetzt. Dort sitzen fast ausschließlich nur die großen & reichen Grund- & Sklavenbesitzer. Daß die ein anderes Lied singen ist begreiflich. Die jüngern sind alle in Europa erzogen & aufgewachsen. Haben sie dort Antisklavische Grundsätze sich angeeignet, so haben sie gleichzeitig vernünftige Ideen bekommen & sind im Stande zu unterscheiden welcher Unterschied zwischen einer langsamen Reform & einer plötzlichen Katastrophe besteht. Es sind bereits Schritte gethan worden um Kulis von China kommen zu lassen; wol das einzig Thunliche; den europäische Emigration wird nie nach dem Norden von Brasilien kommen. Im Süden von Rio, wo bereits die gemäßigte Zoone beginnt ist das etwas Anderes. Auch existiren bereits in den südlichen Provinzen über eine halbe Million europäische Einwanderer, während in den nördlichen ihre Zahl verschwinden klein ist. Man würde auch gern Colonisten von Afrika kommen lassen; dem widersetzen sich aber die Engländer & Amerikaner, behauptend daß es nur ein erneuerter verkappter Sklavenhandel wäre. Und ich glaube sie hätten nicht ganz unrecht. Ich habe bereits  36 von den freigeborenen Sklavenkindern, die verpflichtet sind mir bis zum 21sten Jahr zu dienen; nachher sind sie frei. Das wird ein schönes Gesindel geben wenn vom Jahr 1893 ab jedes Jahr viele Tausende von diesen citoyens losgelassen werden. Einige wenige werden für sich arbeiten; die meisten aber Vagabundiren.

Mit Enkelkindern hat es bei mir keine Aussichten; meine verheiratete Tochter schein gar keine Lust zu haben dem verstorbenen Erstgeborenen einen Zweiten nachfolgen zu lassen; & was die Andern betrifft, sowol Herrn als Damen, herrscht vollstündige Ebbe in matrimonialer Hinsicht. Freier haben sich keiner präsentirt & die jungen Herrn, Kerubino nicht ausgenommen, haben nicht die geringste Lust sich ins Ehejoch zu beugen. Sämtliche Geschwister leben in intimster Freundschaft miteinander, haben es sehr gut beim alten Papa, so daß Keines Lust hat seine Lage zu verwundern. Dazu muß ein kräftiger Impuls von Außen kommen. Auch meine verheiratete Tochter macht sehr gern einen Abstecher hieher & beim Abschied gibt es immer einige Thränen, obwol sie sehr gut mit ihren Mann lebt.

Dieser Sommer ist glücklicherweise das Gegenteil von vorigen: Regen & immer Regen; unter andern Umständen würde man darüber klagen, aber nach der vorjährigen Calamität, freut man sich des Hausarrestes wenn man nicht hinauskann & des bodenlosen Kothes wenn man ausgeht;

Herzliche Grüße von mir & den Kindern an Euch Beide

Dein treuer Bruder


Ferdinand

Samstag, 30. Mai 2015

20/02/1884 (Albert)

(A.S. - Diamantengraben Expedition)

Lieber Albert

Es ist recht lange her seit ich Deinem letzten Brief vom 9 April erhielt & schon über ein Jahr seit dem ich Dir zum letzten mal schrieb. Seit dieser Zeit sind wir beide nun wieder älter geworden & einige Steine von den Ruinen abgebröckelt. Uebrigens, in Euren supercivilisirten Welttheil & Zeitalter wird man es bald dahin bringen Gesundheit & Jugend auf elektrischen Wege künstlich herzustellen. Bei uns zu Lande führt der nährende & zerstörende Sauerstoff fort in brutaler Weise, sein Regiment aufrecht zu erhalten. Und so fühle ich daß es mit mir in der letzten Zeit ziemlich schnell bergab geht. Nur eine Reise nach Europa könnte mich wieder nothdürftig ausflicken, aber daran ist nicht zu denken so lange meine Töchter nicht verheiratet sind. Dazu sind gar keine Aussichten vorhanden; für hier sind sie viel zu vornehm & traut sich keiner der auf Freiersfüßen geht einen Antrag zu machen; für die Bahianer Börsenmagnaten sind sie nicht reich genug. Und so wandern sie langsam den Weg nach dem Giritzimoos. Alberto ist bereits auf eigene Faust etablirt etwa acht Meilen von mir entfernt. Fernando ist immer noch bei mir, ein recht braver Junge, aber ohne den nöthigen Takt, Verstand & Autorität um mich als Geschäftsführer & Familienhaupt zu vertreten.

Und so habe ich die traurige Aussicht nich mehr nach Europa zu kommen. Mit meiner Gesundheit geht es wie mit der Elbe & der Fluth. Ich gebrauche jetzt die elektrohomöopatischen Mittel des Grafen  Mattei, die mir Elise schickt & befinde mich dabei nicht schlecht. Uebrigens halte ich die ganze Medizin in Pausch & Bogen für Schwindel. Auch meine Liane, die als Spezifikum gegen Rheumatismen aufspielen wollte, hat sich als solcher gezeigt. Ich hoffe & wünsche daß Du, nebst Frau & Kind, Euch so wol befindet als möglich & noch recht lange lebt damit wir uns möglicherweise doch noch ein mal sehn.

Mit meiner Diamantenexpedition, die ich nun gerade vor einem Jahr ausführte, ist es nicht sonderlich brillant abgelaufen: Einer meiner besten Neger & vier Pferde tod, an 1000 Negertaglöhnen verloren; als Benefiz ein halb Dutzend hübscher Diamanten für meine Töchter & die romantische Erinnerung an Etwas das nicht Jeder zu sehn bekommt. Die nicht unbedeutenden Auslagen an baar Geld sind durch den Verkauf der gefundenen Diamanten vollständig gedeckt worden. Darin war ich glücklicher als die meisten Andere die ihr gesamtes Capital opfern mußten. Auch bleibt mir noch ein Haus, & zwar eins der besten, mitten im Diamantenterrain, welches ich mehr aus Eitelkeit als aus Berechnung behalte & nicht verkaufen will. Wer weiß ob mich nicht noch ein mal ein phantastischer Wind in diese Gegend verbläst. Es hat mir dort ganz ungemein gut gefallen. Für abentheuerliche Urwaldexpeditionen bin ich längst blasirt. Aber diese nervendurchzuckende Aufregung des Diamantenfiebers ist etwas Köstliches, durch nichts Anderes zu ersetzen. Die Schiffer auf dem Fluß & die Maulthiertreiber sind allerdings das scheußlichste Lumpenpack das sich erdenken läßt; auch die zahlreichen Juden die dort als Käufer cirkuliren & beschmieren haben durchaus nichts anziehendes. Dagegen sind die wahren Garimpeiros, diejenigen die die Diamanten ausgraben fast durchgängig wahre Gentlemen, mit denen es sich ganz ausgezeichnet leben läßt: Ein Ehr- & Ehrlichkeitsgefühl wie man es nie bei Leuten der niedern Klassen antrifft; eine angeborene Courtoisie & Gefälligkeit die den Neuangekommenen mit Bewunderung & Dankbarkeit erfüllt. Hie & da setzt es allerdings ein Paar Messerstriche, aber nur in Folge vom Kartenspiel oder wegen einer der zahlreichen Diamantensyrenen, die sich dort herumtreiben. Manchmal auch bei der Arbeit selbst, deren Beschwerlicher Theil das Ausschöpfen des Grundwassers aus der oft an 12 Fuß tiefen Grube – Catara – bildet. Das Einfachste wäre allerdings eine Pumpe, aber, da ein Jeder bei Eröffnung einer neuen Catara die feste Zuversicht hat es sei seine letzte, indem er dort Diamanten in genügendem Quantum finden werde um das ganze Geschäft aufzugeben, begnügt er sich mit Kübeln, Eimern ect, mit denen er das Wasser nach dem stets in nächster Nähe befindlichen Bach trägt. In reichhaltigem Diamantengrund liegen diese Cataras – etwa 20 Fuß lange & 10 Fuß breite Gruben – schachbrettartig dicht aneinander, durch einem Damm der oft kum einen Fuß dick ist von einander geschieden. So ein spekulativer Spaßvogel steht dann recht früh auf & gießt das Wasser seiner Grube in die seines Nachbarn; Dieser wartet bis sein Nachbar zum Essen geht & restituirt ihm sein wasser nebst Zinsen. Sieht der Eine nun daß das Niveau des Wasserstandes bei seinem Nachbarn tief steht so stößt er heimlich mit dem Brecheisen ein Loch durch die dünne Abtheilungswand & läßt das Niveau sich herstellen, während der Andere nach Kräften ausschöpft, worauf er dann das Loch mit einem Lehmklumpen verstopft & auch anfängt gehorig zu schöpfen ohne zu merken daß der Andere auch dieselbe Pfifigkeit gehabt hat wie er. Es ist ein hidraulischer Krieg bei dem viel gelacht etwas gezankt & hie & da zugestochen wird. Das Rationelste wäre natürlich das Wasser mit einer kleinen Handpumpe & einem Schlauch der bis nach dem Bach geht zu entleeren. Aber wer am endemischen Diamantenfieber leidet ist eben nicht rationell. Bei der Anlage jeder neuen Catara geht er mit der festesten Zuversicht aus Werk daß diese nun seine letzter ist; daß er in dieser genug Diamanten finden wird um das ganze Geschäft aufzugeben & als reicher Mann heimzukehren. Wozu da noch theure Pumpen bestellen & kaufen? Aber die Catara gibt auch nichts, oder sehr wenig. Darauf folgt das apirektische Stadieum im Fieber, nebst Complikation von Katzenjammer – ein ungeheurer Diamantenkater – Und nun wird wieder von vorne angefangen. Oder aber mit eingekneiftem Schweif nach Hause marschiert.

Hätte ich meinen Negern die Hälfte der Arbeit, die sie in den Minen leisteten, auf der Pflanzung zugemutet, so wäre nach einem Monat die eine Hälfte davongelaufen & die andere Hälfte im Lazareth gelegen. Im Garimpo arbeiteten sie aber mit wahrer Raserei, froh & fröhlich bei viel schlechterer Verpflegung als sie gewohnt sind. Magnetismo Diamantino! Auch ich habe seine Wirkung empfunden als ich in der Hütte des größten Käufers daselbst meine beiden Hände, bis ans Handgelenk, in eine Art Salatschüßel tief in Diamanten vergrub, & darin herumwählend die blendende Strahlenbrechung & das elektrische Frösteln in Augen & Nerven empfand. Mit Recht sagt der Garimpeiro, daß wer einmal am Rand einer Catara getrunken hat dem schmeckt kein anderes Wasser mehr. Auch ich habe förmliches Heimweh nach den Diamantenminen.

Am Neujahrstag feierte ich die Inauguration meiner neuen Zucker- & Rumfabrik. Es waren etwa 30 Eingeladene zugegen. Alles ging ganz ausgezeichnet von Statten & ich freute mich über mein wolgelungenes Werk: mein Werk, denn ich habe Alles selbst gemacht; Architekt, Mechaniker & Ingenieur. Eine kleine Episode, die nicht im Festprogramm stand, ereignete sich dadurch daß der Zucker in den Kesseln in Raserei gerieth & desertierte, so daß das ganze Lokal von einer süßen Sündfluth überfluthet wurde, zum größten Gaudium der Negerkinder die den Zuckerbrei, wenn auch nicht im reinsten Zustand aufleckten, aber zum nicht geringen Schrecken der Herrn & Damen die ihre Toiletten in großer Gefahr & sich selbst in einem hochpotenzirten Dampfbad sahen. L’appétit vient en mangeant, & so scheint dieses Schwitzbad die Herrschaften zu noch gewaltigerm Schwitzen disponirt zu haben durch rasendes Tanzen bei 28o  R. während 24 Stunden.

Es ist doch etwas Herrliches um die Jugend, die an solchen Strapazen ihre Hauptfreude hat. Für mich bestand das Benefiz uns der Selbstzufriedenheit über mein gut geratenes Engenho & einer schlaflosen Nacht nebst unregelmäßiger Essenszeit. Es wird aber noch an die drei Monate dauern bis Alles fertig ist; bis dahin ist auch mein Zuckerrohr zum Schneiden reif, & es wird dann energisch an den Zucker & Rum gegangen. Das Zuckerrohr ist etwas ganz famoses: man verscharrt ganz oberflächlich ein Stück von ein Fuß Lange & nach einem Jahr stehn da 15 - 20 Rohre von 10 & mehr Fuß Lange. Kein Unkraut kann dagegen aufkomen & Neger & Hausthiere leben alle gut daran & werden fett. Hingegen muß man mit einer Schaar von ungebetenen Gästen in permanenten Kampf sein: die kleinsten wie eine Maus, die größten wie ein Dachs, die überall das Zuckerrohr anbeißen, in Folge dessen es sauer wird, & kommen etliche solche Rohre mit den andern in die Fabrikation so ist der ganze Sud verloren denn er kristallisirt nicht. Die Bestien werden mit Jägern, Hunden, Fallen & Gift zerstört; aber das hilft wenig. Ueberhaupt ist es entsetzlich was man hier Alles bekämpfen & zerstören muß. Der europäische Landwirth behauptet daß seine Verrichtung hauptsächlich darin besteht der Natur nachzuhalten. Der hiesige Landwirth ist aber vor Allem Krieger, & da der Zweck des Krieges die Zerstörung ist, so ist derjenige der beste der am schonungslosesten zerstört. Die Zeit des Wiederherstellens & des friedlichen Nebeneinanderlebens von Natur & Mensch wird hier auch kommen; einstweilen ist sie aber noch fern. Und wer in diesem Kampf auf Leben & Tod einen Augenblick schwach wird, der unterliegt. Es wird Dir fabelhaft scheinen wenn ich Dir sage daß ich einzig für den Artikel Ameisen, jährlich an zwei Zentner Arsenik & ein viertel Zentner Quecksilbersublimat verbrauche.

Im Salgado geht Alles seinen ruhigen Gang & war der Ertrag an Cakao in diesem Jahr recht schön. Es ist bald ein Jahr daß ich nicht dort war. Indianer, sowol sogenannte Aillirte als auch feindliche sind keine dort. Anfangs schien es daß die Diamantenader direkt nach dem Salgado ging. Plötzlich hat sie sich aber nach Westen gewendet.

Was macht denn Berti? Bleibt er Militär oder wird er auch bald Gutsbesitzer & respektabler Ehemann? Grüß ihn bestens von mir.

Du & Alexandrine scheint beide ein recht beschauliches Leben zu führen: bald hier, bald dort, überall die Crème des Conforts abschöpfend. Eure Photographie steht auf meinem Schreibtisch & ich sehe mir sie an während ich Euch schreibe.

Mit den Sklaven fängt es an recht unheimlich zu werden: Insubordination & Schlechtigkeit nehmen über Hand, von Emissären aufgewiegelt & von den Behörden auf die Skandalöste Art beschützt

Das ist eben die Signatur des Jahrhunderts: Alles gleich machen.

Die Kinder grüßen Euch aufs aller freundschaftlichste & ich thue ein Gleiches.

                                                                                                                  Dein treuer Bruder

                                                                                                                              Ferdinand


Victoria 20 Februar 1884

Donnerstag, 28. Mai 2015

10/04/1885 (Albert)

Victoria den 10 April 1885

(A. S. - Familiensachen)

Lieber Albert!

Es sind wahrhaftig bereits vierzehn Monate vergangen seit ich Dir zum letzten mal schrieb. Seit dem habe ich Deine beiden Briefe von 1 Mai 84 & vom 20 Februar 85 erhalten, von denen letzterer die frohe Botschaft von der Verlobung Deines Sohnes enthält. Mich hat die Nachricht sehr erfreut, ich hatte den lieben Jungen (pardon, heut ein großer Herr) immer sehr gern, & wünsche ihm alles Glück & Segen zu seiner Verbindung & bedaure nur der Hochzeit nicht beiwohnen zu können, ja nicht ein mal ein hübsches Hochzeitgeschenk schicken zu können: denn die Umständlichkeiten & Plackereien mit der hiesigen Douane machen solche Sendungen fast zur Unmöglichkeit. So treibt denn unser Stammbaum bald ein neues Reif. Meine Söhne werden nicht so bald zu seinen Wachstum beitragen. Die beiden ältere sind zu verständig um unpassende Heiraten einzugehen, & Alberto, der eigentlich ein wahrer Lumpacius Vagabundis geworden ist, & mir schwere Sorgen macht hat wenigstens bis jetzt den einzigen dummen Streich nicht verübt, der zur Vervollständigung der langen Reihe die er auf dem Gewißen hat noch fehlt, nämlich eine unpaßende Heiraten einzugehn. Deine Sorgen & Kummer wegen der katolischen Enkel begreife ich. Niemand verabscheut das Pfaffentum mehr als ich, diese Pest die so gewaltig im sich greift daß selbst der große Bismark ihr kaum Grenze zu stecken vermag. Auch mir drohte das selbe Unglück aber zum Glück ist Plutus hier mächtiger als der Nachfolger Petri. Als ich heiraten wollte bekam ich vom Erzbischof eine wahre Apoteker Rechnung, für allen möglichen Unsinn, die sich auf etwa 4000 f. belief. Da traf ich eines Tags im Laden des ersten Juweliers von Bahia einen Quidam, dem der Römling aus allen Knopflöchern heraussah & der ein hübsches Bracelet kaufen wollte, das ihm aber zu teuer war. Als er fortging frage ich den Ladenbesitzer, einen guten Bekannten H. Borel aus Neuchatel, Vetter unseres Borel bei H. Diacon, wer der Herr sei. Die Antwort lautete es sei der Sekretär & alter ego des Erzbischofs. Sogleich kaufte ich das Bracelet, machte meine Aufwartung bei der Eminenz, gab mein Präsent ab, hielt einen jedenfalls sehr rührenden speech, so daß ich Quittung für die verlangte Summe & überhaupt freie Hand für alle Familienangelegenheiten bekam. Ich konnte meine Kinder ad libitum selbst israelitisch oder mahomedanisch erziehen. Der Zweck heiligt die Mittel, & die Dona secretaria bekam ihr schönes Bracelet. So wurden denn, meinem & meiner Frau Willen gewiß unsere Söhne protestantisch & die Töchter katolisch. Und wenn ich inmitten so vieler & schwerer Sorgen & Bekümmerniße einen ungetrübten & wohltätige Trost genieße so ist es das über alle Maßen freundschaftliche & zärtliche Verhaltniß das zwischen meinen Kindern herrscht. Nicht ein mal kleine Chikanen wie sie bei uns vorkamen ereignen sich. Und meine verwitwete Tochter, die wieder ihren Platz im väterlichen Hause eingenommen hat, genießt einen wahren Cultus von Seite ihrer Geschwister & sie ist die eifrigste Katolikin.

Alberto hat mich seit anderthalb Jahren verlaßen, angeblich um eine neue Pflanzung zu gründen, in Wirklichkeit aber um seine Zeit zu verbummeln, Schulden zu machen & die gemeinsten Lokale zu frequentiren. Ich weiß nicht wie das enden wird. Fernando spricht schon lange davon sich selbständig zu etabliren;  aber es fehlt ihm an Initiative einen Entschluß zu fassen, dabei ist er ein ziemlich bequemer Herr, der gern gut lebt; er weiß daß er es nirgends so gut haben wird als bei mir; & deßhalb verschiebt er die Ausführung seines Entschlußes von einen Tag zum andern.
Kerubino ist mir beinahe eine unbekannte Persönlichkeit geworden, er ist immer noch auf seiner Eisenbahn in der Nähe von Rio, verdient ein schönes Geld & laßt sich nicht mehr, wie früher, von guten Kameraden anzapfen & leer auspumpen.

Meine älteste Tochter Libussa ist also nach kaum fünfjähriger Vermählung, im Alter von 25 Jahren, zur Witwe geworden & wieder heimgekehrt. Ihr Mann hatte ihr ein hübsches Vermögen hinterlassen; da sie aber keine Kinder hatten & der Vater ihres Mannes noch lebte, mußte sie mit diesem teilen, wobei es der schlaue Italiener so anzustellen wußte daß ihm der Lövenanteil zufiel.

Constança, die zweite, ist nun auch in den Brautstand getreten. Ihr Zukünftiger trägt zwei sehr vornehme Namen Magalhães Castro, ist ein netter nur etwas zu junger Mann & etwas was man in Preußen Neferendarius nennt; sie wird mit ihm nach Bahia ziehen, fürchte aber daß sie dort nicht sehr fette Suppen kochen wird.

Die beiden Jüngsten sind die die am meisten Leben & Abwechslung in die Monotonie bringen: Immer singend, lachend, mit Blumen in den Haaren, im Kampf mit Schlangen &  Aligatoren; mit Hunden & Pferden beschäftigt; sehr wenig Neigung zu sitzender Beschäftigung. Als vor anderthalb Jahren meine Neger revoltirten & mir zu Leibe gehen wollten, hatten die Beiden am Fenster Poste gefaßt, bereit Jeden niederzuschießen der mir zu nahe gekommen wäre.

Endlich, um auch etwas über mich zu sagen, muß ich dankbar anerkennen daß es mit der Gesundheit ganz erträglich geht. Die Rheumatismen sind fast gänzlich verschwunden &  die Augen sind in einem Zustand daß 3 – 4 Stunden Lesen oder Schreiben bei flackerndem Licht mich gar nicht incommodiren. Auch sonst arbeitet die Maschine noch ziemlich kräftig, denn als ich bei meiner letzten Reise nach  Salgado von einem jungen Baum, bei Gelegenheit des Ueberspringens eines Grabens, gefaßt & mit Federkraft erst in die Höhe & denn ein Paar Schritte seitwärts geschleudert wurde, daß mein alter Brustkasten in allen Fugen krachte & ich glaubte nichts mehr auf dieser Welt zu thun zu haben als meinem Reitknecht zu befehlen mich stante pede einzuscharren. Aber ich erholte mich & hatte einige Monate heftige Schmerzen in der Bruste. Nun ist aber Alles wieder im besten Zustande Ich kann nießen, husten, schreien so gut als wäre nie das Geringste passirt.

Wenn es mit der Gesundheit ganz gut geht kann ich leider nicht dasselbe vom geschäftlichen Standpunkt aus sagen. Die bevorstehende Sklavenemanzipation ist ein Ding das den vollständigen Ruin des Landes bedeutet. Es soll ein Kapital von über vier Millarden gekündigt werden; denn dieser Wert repräsentiren die ungefähr anderthalb Millionen Sklaven die in Brasilien existiren. Von diesem Kapital zehren nicht nur die Sklavenbesitzer, nicht nur die Brasilianer, sondern die gesamte Menschheit die Caffee, Cakao, Zucker, Tabak, Baumwolle ect consumirt. Natürlich sind aber die Besitzer dieser anderthalb Milionen Sklaven diejenigen die am empfindlichsten man kann sagen tödlich von diesem Plan getroffen werden.

Anderthalb Millionen nützlicher Staatsangehörige, die konsumiren & produziren werden zu ebenso viel Strolchen umgewandelt, die weder das eine noch das andere thun. Zahlreiche Familien ins Elend gestürzt; der Nationalreichtum um Dreiviertel vermindert & dazu wahrscheinlich der Staatsbankrot. Aber man spricht von Menschenrechten, Menschenwürde, Zeitgeist, Aufklärung & Freiheit, & damit ist Alles abgetan: Juvat justitia pereat mundus! Bei der Schandwirtschaft in Staatshaushalt sind die Kassen immer leer & an eine einigermaßen equitable Entschädigung nicht zu denken. Es soll also keine Expropriation sondern ein einfacher Raub ausgeführt werden. Die Herrn Deputirten sitzen in Rio &  brüten über Gesetzen; viel Kluges wird nicht dabei herauskommen, denn es sind fast außschließlich hungrige Advokaten, die nichts besitzen als ihre lose Zunge & ihren schwarzen Frack, & die mit Haß & Neid auf Alle die blicken, die etwas besitzen. Grundbesitzer, Kaufleute, Fabrikanten kommen so gut wie nie in die Deputirtenkammer; dagegen häufig in den Senat. Die Senatoren sind meist große Grund- & Sklavenbesitzer & sträuben sich natürlich mit aller Macht gegen die Schwindeleien der Deputirten. Kaiser & Minister sind Abolitionisten mit Leib & Seele. Die Sitzungen werden geheim gehalten & den Telegraphen Beamten ist es streng verboten Telegramme mit politischer Tendenz zu befördern. Alles ist natürlich höchst gespannt auf das Resultat dieser  Verhandlungen, & alle Arbeiten & Geschäfte im ganzen Land stocken in Erwartung einer Entscheidung. Daß unter diesen Umständen Sklaven & Grundbesitztum ganz entwertet sind versteht sich von selbst.

Wir gehen einer bösen Zeit entgegen, & für mich der ich nun alt & ruhebedürftig werde, doppelt schlimm. Aber für die Paar Lebensjahr wird nun sich schon durchbeißen. Le Brésil est un pays de ressources. Wären meine Töchter verheiratet so zöge ich zu Kerubino, so aber muß ich als Gluckhenne aushalten. Meine Prozeße schlafen den Schlaf des Gerechten in den Archiven des Appelationsgerichts. Nur hie & da , wenn ich einem von den  Räthen einen Caffesack zum Präsent schicke, geht es einen Schritt vorwärts. Mit meiner Zucker- & Rumfabrik geht es recht flott; nur fürchte ich daß das Eröffnungsfest zugleich der Schwanengesang sein wird. Denn wenn ich keine Neger mehr habe kann ich die ganze Bescherung in Brand stecken & in der Asche Kastanien rösten.

Die Runkelrübenmagnaten werden sich freuen wenn sie die Conkurenz von etwa einer Million Tonnen Rohrzucker los werden. Und die Cikorienpflanzer werden zu Millionären wenn einmal die sechs Millionen Sack Brasil-Caffee auf dem Weltmarkt fehlen werden. Das ist der Gang der Welt: der Untergang des Einen bedingt den Aufschwung des Andern. «C‘est la bascule du monde» wie Victor Hugo sagt.

Ich adressire diesen Brief nach Marienberg. Wenn Du mir schreibst adressire an C. F. Keller & Ca. – Bahia.

Schließlich wünsche ich Euch Allen einen recht vergnügten & zufriedenen Hochzeitstag.

Daß wir uns in diesem Leben wiedersehn ist mehr als unwahrscheinlich; ich müßte denn irgend ein reichhaltiges Diamantenlager entdecken & sonst auch die ganze Familie geborgen haben.

So leb denn wol mein lieber Albert; recht herzliche Grüße an Alexandrine, Berti & auch der jugendlichen Braut empfehle ich mich zu Gnaden. Meine Kinder, speziel Fernando & Alberto gratuliren dem stets in guten Andenken Vetter, & empfehlen sich bestens der unbekanten Cousine. Alle senden nach hiesiger Landessitte Onkel & Tante ein muito apertado abraço: eine enge, energische Umarmung.
                                                                                                                            
Dein Bruder Ferdinand




25/09/1886 (Albert)

25 – 09 – 1886
(A. S. - Letzter Brief Ferd. starb May 1887)

Lieber Albert

Allerdings bekam ich einen wahren Schrecken beim Offen Deines letzten Briefes als ich die gedruckte Schrift las; ich glaubte es sei irgend eine Belangung von Bundeswegen oder dergleichen. Mein Schreck verwandelte sich jedoch in Neid als ich sah wie bequem Du es hast um zu schreiben. Auch ich möchte solches Schreibinstrument besitzen. Du brauchst es der Augen wegen & ich als Ersatz für meine Hand, die in Folge der Rheumatismen der Morphineinspritzungen fast paralitisch, jedenfalls sehr schwach & zittend ist. Im Uebrigen kann ich über meine Gesundheit nicht klagen, habe sogar einen sehr guten Winter verbracht, fast ohne Rheumatismen. Aber Schlaf & Appetit sind dahin; zum Glück sind die Augen gut, so daß ich Stunden lang im Bett lesen kann. Das Schlimmste ist jedoch die Schwäche in den Beinen, die mir das Gehen sowol wie das Reiten fast unmöglich macht. Du kannst dir denken wie es mit der Feldarbeit geht bei der der Herr fast nie zugegen ist. Auch für geistige Arbeit bin ich bereits recht untüchtig, kann keine Adition machen ohne Fehler, vergeße Alles & habe überhaupt eine früher nie gekannte Abneigung für jede anstrengende Beschäftigung. Ich werde vor der Zeit alt, bevor ich nach mit meiner Aufgabe fertig bin. Auch Du klagst über dasselbe Uebel. Unsere Eltern waren eigentlich viel solider als wir. Auch Alexandrinen scheint es nicht zum Besten zu gehen obwol sie jünger ist als wir.

Ich bin dies mal im Rückstand mit meinem Brief; mein letzter war vom 10 April vorigen Jahrs;  seit dem habe ich den Deinen vom 15 November & zuletzt den von 20 Juli erhalten.  Für Deine Glückwunsche zu meinem 61sten Geburtstag danke ich herzlich & erwidere sie ebenfalls zu Deinem Avancement zur Großpapa Würde. Ich bekleidete dieselbe nur während acht Monaten. Auch der Frau Großmama gratuliere ich zur kleinen Enkelin, an der sie eine große Freude haben wird.

Wie du bereits erfahren hast, hat meine zweite Tochter Constança auch geheiratet, & zwar einen jungen Ingenieur, hübscher, angenehmer Mann, etwas zu jung, mit wenig Vermögen, aus der alten historischen Familie der Magalhães Castro. Kerubino hat ihm eine sehr schöne Anstellung bei derselben Eisenbahn verschafft bei der er eine hervorragende Stellung einnimmt, so zwar daß er, Luizinho, unmittelbar an seine Person attachirte. Und sobald der Palast fertig sein wird den er baut & der ihm als Dienstwohnung, nebst seinem Stab, dienen wird werden sie alle drei zusamen wohnen. Es freut mich dies ungemein. Kerubino ist eine ebenso zärtlicher aufopfernder Bruder als Sohn, & bei seiner einflußreichen Stellung & schönen peküiären Lage, wird unter seinen schützenden Fittigen, das Nest des jungen Ehepaars recht warm & sicher gebettet sein.

Bei der Hochzeit passirte ein kleines Malheur, wie es nur hier vorkommen kann. Dieselbe war am 2 Juni & am 3 wurde das Dampfschiff erwartet. Nach wild durchtanzter Nacht machten wir uns früh Morgens nach Ilheos auf den Weg; die ganze Gesellschaft gab das Geleit. Seit sie zum Empfang des Erzherzogs Maximilian ausgelaufen war war meine Ruderflottilie nie so komplet & so brillant. Auf bunt beflaggten und blumenbekränzten Canot voraus die Musik; dann die andern im Wettlauf, jedes das andere an Schnelligkeit übertroffen wollend, eine wahre Regate, bei der es eigentlich ein Wunder war daß kein Unfall passirte. In Ilheos angekommen fiel eine kalte Douche auf den allgemeinen Jubel. Ein Telegramm meldete daß das Dampfschiff Havarie gemacht hatte & nicht vor 2 – 3 Tagen kommen würde. Ich habe allerdings ein schönes Haus in Ilhéos, aber nichts darin als die Möbel; keinerlei Tischzeug, Bettzeug etc, welches ich jedes mal mitbringe wenn ich zu längern Aufenthalt nach der Villa fahre. Die feurige Jugend machte sich zu aber gar nichts daraus. Die Musik marschirte im großen Saal auf & mußte zum Tanz aufspielen, & nun wurde wieder gerast wie wenn man nicht schon zwei Nächte hintereinander durchgetanzt hätte.

Zu dem lumpigen Nest ist nichts zu finden; & so mußten die abgesetzten Ruderer, nach kurzer Rast, wieder nach Victoria zurück um das Nötige zu holen. Qui dort dine sagen die Franzosen; man könnte auch sagen Qui danse dine. Die guten Leutchen merkten kaum wie lange es dauerte bis die verlangten Lebensmittel im Naturzustande ankamen, nur erst gekocht & präparirt wurden um aufgetragen zu werden. Ich hatte natürlich nicht mitgetanzt, hatte daher einen riesigen Hunger als, nach beinahe vierundzwanzig stündigem Fasten, ich  mich an einen wohlbesetzten Tisch setzen konnte. So haben denn die Neuvermählten ihr junges Eheleben mit einer kleinen Hungerkur begonnen. Hoffentlich kein böses Omen! Sie haben bereits geschrieben & sehn natürlich, durch den Rauch von Locomotiven & Officinen, den Himmel voller Geigen hängen.

Mit der Sklavenemanzipation geht es recht flott vorwärts. Die Gesetzfabrikanten & der Kaiser wollen eben damit aufräumen – coute que coute – wenn auch das Land zu Grunde geht – juvat justitia, pereat mundus. Von der Ausleihen die Brasilie in England macht kommt nicht ein cent ins Land; Alles ist für Bezahlung dort schuldiger Zinsen & Zinseszinsen. Und die guten Leute bedenken nicht daß wenn sie keine Landesprodukte nach Europa mehr schicken werden Europa ihnen auch nicht mehr seine Industrie Produkte schicken wird. Wenn Manchester aufhört seine Baumwollen Stoffe zu senden so kann möglicherweise das Feigenblatt hier Mode werden. Die Neger sind ganz demoralisirt & es ist eine Qual mit ihnen auszukommen, sogar die Bedienung in Haus, Hof & Küche gibt einem mehr Galle zu fressen als Pasteten. Die Neger die früher das Stehlen nicht den Namen nach kannten fingen an eine gewiße Virtuosität darin zu verlangen; das gehört ja auch zu den Menschenrechten, die ihnen heut zu Tage mit solcher Verschwendung octoyirt werden daß für die Weißen gar keine mehr übrig bleiben. Und dennoch muß man eingestehn daß die Negersklaven auf einer viel höhere Rute von Sittlichkeit stehen als Eure Proletarier. Bei solch absoluter von Oben garantirten Straflosigkeit, solch ewiger Hetzerei & öffentlichen Aufruf zur Revolte, bei dem totalen Mangel an Polizei & Militär, wie er hier herrscht, muß man sich wundern daß nicht Alles außer Rand & Band geht & daß angestammte Pflichtgefühl noch nicht ganz erloschen ist. Zum großen Aerger der Menschheit Beglücker. Unter solchen Verhältnißen würden dieselben Euer schönes Europa in einen Sumpf von Blut & Asche verwandeln. Auch ich habe unter meinen Negern ein halbes Dutzend treu ergebene Leute, die sich durch nichts irre leiten lassen, wenngleich die Andere ihnen das Leben recht sauer machen.

Da ich die beschwerliche Reise nach Salgado nicht mehr aushalten konnte, & es in Folge dessen recht liederlich zuging & der Ertrag immer geringer wurde, habe ich mich, mit blutendem Herzen entschließen müßen die Pflanzung zu verkaufen; natürlich mit bedeutendem Verlust. Wir müssen uns eben hier wie Schiffbrüchige betrachten: Alles was gerettet werden kann ist reiner Profit.

Mein Zucker- & Rum Fabrik geht recht gut, nur in diesem Jahr werde ich fast die ganze Ernte einbußen, da, in Folge der ganz ausnahmslosen Trockene, mir die Wasserkraft zum Mahlen fehlt. Meine großen Cakaopflanzungen wachsen nach & nach heran & werden bald in Ertrag kommen. Es ist dies eine wahre Faulenzer Cultur, die man allenfalls mit den trägen Landesbewohner bewältigen kann; nur gedeiht er leider nur in ausgezeichnet gutem Boden, von dem ich nicht allzuviel besitze. Mit Caffe habe ich bereits abgewirtschaftet, & die früher in London & Bordeaux berühmte Marke F S ist beinahe verschwunden.

Ich bin hier ganz allein mit meinen drei Töchtern; mein Söhne sind fort & meine Beamten auch haben mich verlassen. Arbeit gibt es da wohlauf, aber wenig Fähigkeit dieselbe zu verrichten.

Nun lebe wohl. Herzliche Grüße für Dich, für Alexandrine & für die Jugend von uns Vieren.

Dein treuer Bruder
                                                                                                                                                                                                                                                                                           Ferdinand

Victoria den 25 September 1886



Dienstag, 26. Mai 2015

14/05/1887 (Fernando - Albert)


                                                                                                              Bahia 14 Mai 1887

(A.    S. - Todesnachricht – Grab in Evang. Deutsch Friedhof in Bahia)


Bien cher Oncle Albert

Impossible de te décrire le coup fatal, qui est venu comme nous foudroyer, hélas nous étions déjà sans mère et aprésent Dieu a levé notre pauvre Père, nous voilà seuls au monde et dans le plus grand désesperoir.

Il est mort le 13 Mai à 7 heures du matin et a été enterré le même jour à cinq heures de l’après-midi dans le cimetière protestant de Bahia.

Il avait fait une opération à une hernie qui avait couru sans aucun danger, même la cicatrice était déjà guérie, mais le maudit rheumatisme l’a attaqué avec force et après trois mois de souffrances horribles, il a sucombé malgré tous les soins et je puis me faire une idée des comptés des médecins.

Il était allé à Bahia pour soigner ma sœur Eugenie qui avait eu des fièvres horribles et là le rheumatisme l’a pris et il ne s’en retourne plus sur sa chère Victoria.

Impossible d’écrire d’avantage. Adieu bien cher Oncle je t’embrasse ainsi que Tante Alexandrine, salue Berti aie la bonté de lui donner cette lettre à lire. Ton neveu inconsolable.


                                                                                                              F. de Steiger