Samstag, 6. August 2016

25/09/1862 (Albert)


                                                                             Victoria den 25ten September 1862

       (A.    S. – Allerlei)


Lieber Albert

Mit zerknirschten Gemüth & unter holdem Schamerröthen ergreife ich endlich die Feder um an Dich & meine liebe Schwägerin zu schreiben, denn Eure beiden Mahnbriefe haben mich endlich aus meiner tropischen Apathie (die Ihr nicht kennt, mithin nicht zu würdigen versteht) herausgerißen. Ich bekenne meine Schuld & flehe um Gnade, kann jedoch, als verstockter Sünder, keine sofortige Besserung versprechen. Wahrlich, schon längst hättest du einen kolossalen Brief von mir, wenn Gedanken gleich zu Buchstaben würden & sich versenden ließen; so muß man aber alles zu Papier bringen; dazu kommt daß einem die Zeit hier viel schneller entflieht als bei Euch, wo der Wechsel der Jahreszeiten auf das Vorrücken des Jahrs aufmerksam macht, während hier das ewige Einerlei der Natur nichts davon merken läßt & man nur aus seiner Buchhaltung weiß in welchem Monat man sich befindet.

Daß mir Eure beiden Briefe eine ungeheure Freude verursacht haben, brauche ich wol nicht zu sagen; die freudigen Ereigniße sind hier so karg gemeßen; & dann freut mich alles von Euch jetzt doppelt nachdem ich so unvergeßlich schöne Tagen bei Euch zugebracht. Wir waren kaum den Flegeljahren entwachsen als wir uns in Berlin trennten, sei der Zeit warst Du mir eine fast unbekannte Persönlichkeit geworden, Deine Frau war es ganz, Böhmen kannte ich nicht mehr. Jetzt ist das Alles ganz anders & meine Gedanken finden überall Anhaltspunkte, wenn ich an Dich denke.

Mir geht es erträglich: über ein Uebermaß von Glückseligkeit kann ich freilich nicht klagen. Im Monat Mai machte ich einen verunglückten Sterbeversuch, der auch viel Zeit & Geld koste, indem er mich zu einem zweimonathlichen Aufenthalt in Bahia zwang. Ich weiß nicht wie ich auf die Idee kam meine Lebensweise zu ändern & die europäischen nachzuahmen, d. h. vernünftig zu essen & zu trinken, denn Du machst Dir keinen Begriff von den Unmaßen von Fleisch, Wein, Cognac, Piment, Cafe ect, die man hier zu verschlingen gewöhnt ist. Die Lektüre von homöopathischen Merken welche Mäßigkeit predigen die in Paris kaufte; eine ziemliche Dosis Heimweh, die auch nach meiner Rückkehr von Europa plagte, so wie der heiße Sommer in Januar vereinigten sich mit meiner verpfuschten Diät & welche in den Tropen endemisch ist, aber selten an andern Individuen beobachtet wird, als an malträtirten Sklaven oder an jenen unglücklichen Einwanderern die vor Elend & Kummer jämerlich zu Grunde gehen. Die Krankheit besteht in einer Tendenz des ganzen Organismus sich in Wasser aufzulösen: das Blut eröffnet den Reigen & allgemeine Wassersucht macht den Cotillon zum Schluß. Du sagtest mir einst, daß bei euch die Schafe an einer ähnlichen Krankheit leiden; so habe ich denn Gastrollen als europäischer Hammel hier zum Besten gegeben. Ich hatte schon ein ganz anständiges Quantum von Wasser unter meinem Zellgewebe angesammelt, dennoch gelang meinen zwei Aerzten mich wieder auf die Strümpfe zu bringen. Es sind dies zwei Freunde, ein Engländer & ein Deutscher, mit welchen ich schon seit Jahren in gelehrter (wenigsten von ihrer Seite) Corespondenz über Medizin & Naturwissenschaft stehe. Nach einer fortgesetzten Behandlung zu Hause mit fetten Rehe, Wildschwein- & Tapirbraten, halb roh genoßen, nebst altem Portwein, Cognac & Cafeextrakt, alles in ganz alöopatischen Dosen appliciert, befinde ich mich auch, Gott sei gedankt, nun wieder vollkommene wohl; habe auch das leidige Heimweh an den Nagel gehängt & wäre ganz glücklich, hätte mich nicht eine andere Calamität heimgesucht. Ich bin nun einmal ein Pechvogel.

Besagte Calamität erschien in dem Besuch eines fast mikroskopischen Wurms, welcher sich millionenweise über meine Cafepflanzungen hermachte & dieselben in einen verzweifelten Zustand versetzt. Daß die prachtvolle Erndte auf welche ich hoffte & die ich zu ungefähr 1250 Säcken geschätzt hatte (der Sack hat 125 Pfunden & gibt gegenwärtig 36 Milreis – 100 francs) dabei zu Grunde ging, versteht sich von selbst; dennoch geben die traurigen Reste, über 400 Säcke, ein schönes Resultat im Vergleich mit andern Jahren. Dieser Verlust meiner Erndte würde mich nicht sehr kränken, wenn er einzig wäre. Das Schlimmste ist aber daß meine Cafebäume durch das unseelige Insekt größtentheils getödet worden sind oder sich auf besten Wege dazu befinden. So sind namentllich jene 150.000 jungen Cafebäume, an welchen ich seit vier Jahren kein Opfer an Zeit & Geld gescheut, welche meine ganze Hoffnung für die Zukunft ausmachten & welche endlich alle meine Mühe zu lohnen versprachen indem sie nur allzusehr mit Früchten überladen waren – gänzlich dahin. Ich kann sie in Bausch & Bogen aus meinem Etat streichen; statt ihrer steht eine Assemblee von Besen in schnurgeraden langen Reihen, wehmüthig über Berg & Thal gestreckt. So stehe ich denn nach 5 jähriger Arbeit wieder an meinem Anfangspunkt vom Jahr 1857, nur mit dem Unterschied daß die 80.000 Bäume (welche ich damals von H. May kaufte) um 5 Jahre älter sind, daher ihre Ertragfähigkeit auf die Hälfte reducirt ist. – Besagtes Cafeinsekt hat spartamische Grundsätze – es ehrt die Greise - & während es die jungen, kräftigen Bäume schonungslos verhehrte, verfuhr es äußerst glimpflich mit den alten Veteranen, welchen ich viel lieber den Abschied ertheilt hätte. – Es gehört ein ziemlich dickes Fell dazu um bei solchen Umständen nicht aus der Haut zu fahren; glücklicherweise habe ich etwas von der Natur der Pachidermen & handle deßhalb so, wie der Kupferschmied singt; «Und wer das Lied nicht weiter kann, Der fang es wieder von vorne an». – Von vorne wieder anfangen, heißt es für mich. Immerhin! Paciença! einmal muß & wird das Pech enden.

Gleichzeitig mit Deinen letzten Brief erhielt ich endlich den ersten Band von des Erzherzog Max brasilianischen Reise Skizzen, nebst einem sehr freundlichen Brief. Das Buch trägt die dedicace in portugiesischer Sprache an meinen Schwiegervater «meo muito prezado & estimado amigo Sr. Egidio ect. ect». Daß ich das Merk mit wahrer Wolfsgier verschlang kannst Du Dir leicht vorstellen. Es handelt übrigens von dem, mir weniger interessanten Theil, von des Erzherzogs Reise; nämlich von seinem Aufenthalt & seinen Ausflügen in Bahia & Umgegend. Der zweite Theil, der später nachfolgen wird & der den Titel – «Victoria» - bekommen soll, während der erste den Tittel – «Bahia» - führt, fängt eben, für mich, mit dem interessantesten Theil de Reise an: mit der Ankunft des Autors in Ilhèos, woselbst er unter meine Vormundschaft gerieth & bis zu seiner Abreise verblieb. Sehr begierig bin ich auf diesen zweiten Theil, welcher mich natürlich überaus interessirt. Uebrigens ist schon der erhaltene erste Theil äußerst interessant; man merkt es auf jeder Seite, daß das Buch nicht fürs große Publikum & zum Gelderwerb geschrieben ist. Einige Passagen darin haben mich, nach mehrmaligen Lesen, jedesmal zu einem wahrhaft homerischen Lachen gezwungen. Das Ganze athmet correkte Wahrheit, schwärmerischen Entusiasmus für alles Schöne, genaue Beobachtung & einen unerschöpflichen Frohsinn. Wir armen Sklavenbesitzer kommen jedoch sehr schlecht weg.

Letzthin hatte ich hier den Besuch eines wunderschönen schwarzen Tigers dessen Fährte 6 ½ Zoll breit war; er hat sich übrigens die ganze Zeit höchst anständig aufgeführt & auch nicht das miserabelste Schwein oder Schaf zum Andenken mitgenommen; nur ein mal verursachte er einen panischen Schrecken unter dem Negern, indem er am hellen Mittag mitten unter der sämtlichen Negerei, welche eben in einer Pflanzung nahe am Hause arbeitete, plötzlich erschien. Wer den größten Schrecken empfand ist bisher noch nicht entschieden: factum est, daß das Angstgeheul der Neger die harmlos spazierende Bestie zur schleunigsten Flucht, mit hochgehobenem Schweif, veranlaßte; während die Neger, mit wilden Sätzen nach der entgegengesetzten Seite rannten. Zum Dank für sein musterhaftes Betragen, während seines sejour bei mir, beabsichtigte ich dem Tiger das Fell über die Ohren zu ziehen & gieng daher mehrmals auf den Anstand; wer aber nie erschien war mein Tiger, der sich, sans tambour ni trompette, verabschiedet, was mir sehr leid that, indem ich sonst sein prachtvolles Fell dem Erzherzog geschickt hätte, als erstes Opfer seines herrlichen Doppelstutzers. Die Benennung Tiger ist eine unrichtige, rein lokale; sämtliche brasilianische Katzenarten führen den gelehrten Stamen felix onça, wovon die armen Thiere natürlich nichts wissen. Hier nennt man Tiger diejenige onça, welche, bei einer körperlänge von 6 – 8 Fuß, ganz schwarz ist, d. h. auf glänzend schwarzen Grund befinden sich conzentrische längliche Ringe von matten glanzlosen Schwarz, so daß das Ganze einem Moiré – Sammet nicht unähnlich ist. Schöne Thier, mit stolzer Haltung und maliziösem Blick, dabei aber gemütlhich und harmlos, wen man ihnen nichts zu leid thut. Alle wohlbeleibten, fetten Leute, die Tiger nicht ausgenommen, sind gemüthlich & jovial; nun schoß letzthin mein Schwager so ein Thier, daß einzig an Nierenfett 14 Pf. lieferte, des andern Speckes gar nicht zu gedenken. Wie kann so ein Domprobst grausam, ja nur unfreundlich sein? – Schlangen, Schlangen sind für mich der einzige Greuel hier zu Land; die die ich sehe fürchte ich nicht, aber so eine Bestie rollt sich zusamen, daß sie oft nicht größer als ein Thaler ist & kricht einem dabei in Zimmer, Magazine, Ställe ect. ect. Man könnte sich wundern daß so äußerst wenige Leute von giftigen Schlangen gebißen werden, da man diese Thiere überall antrifft; aber die gütige Natur hat dies, wie Alles einzurichten gewußt: Die giftigen Schlangen sind nämlich so entsetzlich faul & schläfrig, daß man sie positiv erst mit Fußtritten wecken muß, um sich alsdann um ihren Biß zu bewerben. Die nichtgiftigen Schlangen hingegen sind stets munter & lebhaft, von glänzenden, mitunter geschmacklosen Farben, roth, grün, gelb, ect, während die giftigen stets ein bescheidenes Gewand tragen – braun, grau, schwarz, dabei aber geschmackvol selbst elegant gezeichnet & marmorirt. Die erstern sind die fidelen Bauern die zur Kirchweih ziehn, die letztern repräsentiren die heutige europäische fashion, die in eleganter nonchalance die Zeit verschläft & nur hie & da durch einen giftigen (wenngleich keine Blausäure enthaltenden) Biß ihr Dasein manifestirt. Im zoological garden in London & in zoologischen Museum von Stuttgard befinden bereits mehr als hundert lebendige Schlangen & andere Reptilien, die meine Unterthanen waren; ich schicke dieselben an meine Freunde D’tor Paterson & D’tor Wucherer in Bahia, natürlich als Present, diese schicken die Thiere in ihre respektiven Heimathen, Auf diesen Wege wären wir fast zu einer neuen Verwandschaft gekommen, denn, nachdem ich unter andern Schlangen, noch zwei unbekannte unbeschriebene Arten geschickt hatte, wovon die eine nach London marschierte, erhielt ich von dort aus die Nachricht daß man, aus lauter Dankbarkeit, der Bestie meinen Namen geben wollte; ich protestirte energisch gegen diese Ehrenbezeugung & verzichtete auf meine Rechte zu Gunsten meines Freundes D’tor Wucherer, welchem ich zur neuen Verwandschaft gratulirte. So bist Du eines Vetters – cousin Xenodon pantherinus Steigeri los & die ehrsamen Spießbürger Bern’s brauchen denselben nicht in ihre Register einzutragen. Ich, für meinen Theil, hätte ihn nicht angerührt, & hätte er auch jahrelang im Spiritus gelegen. Aber, da schwatze ich von Tigern, Schlangen & sonstigem Gethier, welches Dich sehr wenig interessirt.

A propos vom alten Marco, von welchem meine liebenswürdige Schwägerin Nachrichten verlangt, so muß ich sie zuerst höflichst bitten meine Neger nicht zu desacreditiren: ein alter Neger ist nichts werth, ein junger hingegen gibt ein bis zweitausend Gulden; nun ist besagter Marco nur wenig über die Zwanziger, mithin noch kein altes Subjekt. Er hat in letzter Zeit eben keine Seide gesponnen, indem er von seiner Würde als mein Stallmeister & Leibdiener zu der eines simpeln Arbeiters in den Pflanzungen herabsank, nach vorheriger Applikation einer ziemlichen Dosis von Hieben. Er hatte nämlich, bei einer Anwandlung erzherzoglichen Selbstbewußtseins, es für zweckmäßig gefunden mir einige Goldstücke zu stellen; ein äußerst seltener Fall bei Negern. Der Erzherzog hat nur den Kerl verdorben, indem er ihn als wahren gentleman seines Gleichen behandelte. Nun, wie man sich bettet so liegt man, & einen Tag bei einer kaiserlichen Hoheit speisen um am andern Tag Peitschenhiebe zu erhalten ist jedenfalls ein unangenehmer Contrast.

Was man Dir vom schlimmen Einfluß des amerikanischen Krieges auf die brasilianischen Sklaven gesagt hat, ist glücklicherweise rein erdichtet. Erstens wissen sie gar nichts von der ganzen Angelegenheit & zweitens, wären sie auch vollkommen au courant der Peripethien dieses Krieges, so würden sie ehe Parthei für die Sklavenbesitzer als für die Sklavenbefreier nehmen. Sie sind zu glücklich & zu klug um ihr behagliches, sorgenloses Leben gegen eine Existenz voll Sorgen & Armuth umzutauschen, einzig & allein um des Wörtleins «Freiheit», für sie ein reines Abstraktum.

Heute ist es ein Jahr, daß ich mich in Bordeaux, in sehr trüber Stimmung einschiffte. Meine Photographien habe ich erhalten & danke Dir für die Besorgung.

Recht leid thut es mir zu vernehmen daß es mit Deinen Augen immer noch nicht besser gehen will; übrigens bist Du noch jung & lebst äußerst solide, daher ist immer noch die beste Aussicht vorhanden. Eine Kur im herrlich grünen, balsamisch feuchten Urwald würde Dir wohl bekommen.

/Pourtalès/ sind schäbige Filze, wie alle Parvenüs, besonders wenn die Quelle des Reichtums eine unlautere ist, so wie dies beim Stammhalter /Pourtalès/ der Fall, welcher außer andern Geschäften auch den Negerhandel mit Fleiß & Erfolg betrieb.

Sage allen Bekannten, die so freundlich sind zu bedauern mich, während meines Aufenthaltes in Böhmen, nicht gesehn zu haben, daß dieses Bedauern auch meiner Seits aufrichtig erwidert wird.

Ich mache von der Autorisation Alexandrinens ihr nicht separat zu schreiben, Gebrauch. Was sollte ich ihr auch sagen? daß sie ungemein freundlich & liebenswürdig ist: Das weiß sie selbst, & andere haben es ihr oft genug gesagt. Du, solider Kauz, der allererste, als Du, wie der verliebte Ritter unter ihren Fenstern sangst:

«Hab ein Schloß & finstre Wälder,
Habe Berge, reich an Erz,
Munter Herden, goldne Felder,
Und – nach Dir – ein krankes Herz».

Ich grüße sie, die liebe Schwägerin, aus vollem Herzen; ebenso Deine Schwiegermutter, welche mir unvergeßlich bleibt &, der ich nie genug für die mir bewiesene gütige Freundschaft danken kann. – Sogar die Empfehlungen des Hluboscher Pfäffleins erwidere ich.

Meine Frau dankt herzlich für Eure Grüße, sie brennt vor Begierde nach Europa zu gehen, während sie früher, bei dem bloßen Gedanken an Europa, sich schon zwischen Eisschollen & Schwergestöber begraben sah. – Mein Schwiegervater fängt an zu spüren, daß er über die Fünfzig hinaus ist & negocirt einen Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit, mit den Tigern & Unzen. Meine Schwiegermutter wird zu dick & macht mir, als Hausarzt, viel Sorgen & Mühe. Beide danken recht sehr für Eure Grüße & erwidern sie aufs freundschaftlichste.

Beinahe hätte ich vergeßen Euch mitzutheilen, daß ich abermals mit einem Kinde, dem Nro 8, beglückt worden bin. Es ist dies für mich so eine alltägliches Ereigniß, daß ich Euch künftighin melden werde, wenn ich in einem Jahr kein Kind bekommen werde. Der neue Sproßling gehört zum schönen Geschlecht & heißt Julie.

Ich küße den kleinen Berti von ganzem Herzen; erinnert er sich noch meiner?

Meine besten Grüße an Deine Schwäger: Dolphi & die mir leider unbekannten.

Nun leb wohl mein lieber Bruder; Gott segne & behüte Dich & Alle die Deinen. Wer weiß wann wir uns wiedersehn, denn meine Aktien stehn gegenwärtig ziemlich schlecht. Vielleicht besuchst Du mich noch ein mal.

Dein treuer Bruder Ferdinand.








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