Victoria den 12 November 1861.
Mein lieber Albert
Da bin ich nun wieder in meinen häuslichen Laaren; nicht
ohne einige sehnsüchtige Erinnerung an Europa. – Ich erzähle jetzt meine Reise,
seit unserer flüchtigen Trennung auf dem Bahnhof in Neuchatel (wo du mir noch auf einen Besuch Hoffnung machtest). Die
Kinder waren ganz außer sich vor Freude wieder nach Colombier zu kommen & waren auf dem Bahnhof daselbst gar nicht
zu halten bis sie zu Hause waren. Mir war Das ein wahrer Trost & der beste
Beweis ihrer Zufriedenheit mit ihrem Loos. Uns ging es anders, wenn Du Dich noch
erinnerst, als wir, nach unserer ersten Ferienreise nach Bern, wieder nach Neuchatel zurückkehrten.
Barrelet, als Präsident des Comiters
der landwirthschaftlichen Ausstellung des Cantons Neuchatel, war den ganzen Tag bis spät in die Nacht beschäftigt,
indem die Ausstellung am 19 September eröffnet wurde. Die Kinder gingen mit
wahrer Begierde in die Schule, & so verbrachte ich zwei traurige Tage, fast
ganz allein. Am 19 gegen Mitag kahm endlich die lange gefürchtete Stunde, die
des Abschieds von meinen Kindern; mir wurde dabei so unwohl, daß ich mich nicht
mehr aufrecht erhalten konnte; den Kindern schien es wenig zu Herzen zu gehen.
Soll ich mich darüber freuen oder betrüben?
Langsam fuhr unser Zug die steile Bahn den Jura hinauf bis Pontarlier: eine prachtvolle, wildromantische Gegend. Von dort bis
Salin geht es nach altpatriarchalischer
Art auf der Dilligence; ich saß auf
der Imperiale um besser sehn zu
können. Ein nebelichtes, kaltes Wetter gab uns das Geleit durch die endlosen,
traurigen Einöden der Franche Comtée
bis kurz vor Salin, wo die Straße
durch eine herrliche Staatswaldung von kolossalen Fichten geht, deren Anblick
in mir wehmüthige Erinnerungen an Hlubosch
erweckte. Von Salin gings dann
wieder auf der Eisenbahn, bei prächtigem Mondschein nach Paris, wo der Zug um 5 Uhr früh anlangte. Hier blieb ich bis zum 23
Morgens. Fröhlich waren diese drei Tage eben nicht für mich: Das Hôtel, die Boulevards, Jardin des
Tuileries, Bois de Boulogne, Alles
erweckte in mir den Vergleich meines Aufenthalts vor nicht drei Monathen &
meines damaligen. Im Juni trug ich
einen ganzen Himmel von Freude & Hoffnung in der Brust; im September bewegte mich nichts als der
Schmerz der Trennung von so vielen Lieben & von euern herrlichen Europa.
Was ich vor meiner Abreise von Brasilien gefürchtet, war eingetroffen. Anfangs fühlte ich mich in Europa, selbst bei den allernächsten
Angehörigen, ziemlich entfremdet & verwaist, & sehnte mich nach meinem
häuslichen Herd & meinen Urwäldern. Bald aber wurde mir so heimisch &
so wohl zu Muthe, daß die Sehnsucht nach Brasilien
sich ins Gegentheil verwandelte & der Abschied von dem geistig gebildeten,
civilisirten, & dabei doch so gemüthvollen, herzlichen europäischen Leben
mir entsetzlich schwer wurde. Des Abschieds von Eltern, Geschwistern &
Kindern gar nicht zu gedenken. Jetzt fühle ich mich höchst unglücklich; meine Victoria, wenn bisheriges El dorado ist mein Botany bai geworden: mit der Zeit wird sich das hoffentlich
bessern. – In Paris brachte ich zwei
Abende mit Vetter Rudi zu; er scheint mir viel ernsthafter geworden zu sein;
möglicher weise ist dies auch eine optische Täuschung meiner trübsinnigen
Gemüthsstimmung. – In einem Restaurant
in welchen wir zu Mittag speisten trafen wir auch einst ein brasilianisches
Ehepar, welches eben seine Kinder zur Erziehung nach Europa brachte: ein
sonderbares Zusamentreffen von Umständen! diese Analogie unserer beiderseitigen
Lagen; nur lebt dieses Ehepar noch ganz in Hoffnung & Zukunft, während für
mich nichts mehr von Europa übrig
blieb als Erinnerungen.
Von Paris nach Bordeaux reiste ich absichtlich bei Tage
um mir die vielgepriesene Touraine
& Guyenne anzusehn; meine
Erwartung wurde aber vollkommen getäuscht, denn etwas Einförmigeres, Langweiligeres
giebt es kaum, als diese schlecht cultivirten unbegränzten Ebenen. In Bordeaux kam ich den 23 September gegen
10 Uhr Nachts an. Mein Platz auf dem Paquet
war bereits genommen, die Paßangelegenheiten bald beendet & so blieb
mir fast der ganze Tag vom 24ten um mich in der Stadt herumzutreiben: eine
höchst interessante charakteristische Stadt. Hier machte ich die Bekanntschaft
der Frau des Hrn. Von Rüte, welcher
vor Zeiten unsere Schwester Therese heirathen wollte, &, ohne letzterer zu
nahe zu treten, glaube ich sagen zu dürfen daß er nicht schlechter bei dieser
Wahl gefahren ist; insofern man nämlich, über den Werth einer Person, in einer
einstündigen Visite sich ein Urtheil bilden darf. – Am 25 gegen Mittag führen
wir auf einem kleinen Dampfer die Garonne
hinab bis Poliac, wo wir den
herrlichen Dampfer Le Béarn bestiegen
& sofort, um 4 Uhr Nachmittags, in See stachen. Das Wetter war stürmisch,
die See gieng hoch & die Welle & Wind waren uns entgegen; daher fuhren
wir langsam & die meisten Passagiere waren seekrank. Das Schönste an Bord
war der Esssaal, ein Ruffel auf dem
Deck, von 32 Metres Länge & 10 Breite; weiß laquirt mit goldenenen Einfaßungen
& Verzierungen, dazu zahlreiche große Spiegel & 12 vortreffliche
Oehlgemälde; das Mobiliar grün mit Gold von Palissander. Ebenso war auch unser
Tisch der Art, daß die besten Hôtels von
Paris nichts Vorzüglicheres liefern
können. Es war ein wahres Elysium für
Gastronomen. Alles andere war aber dafür um so schlechten; Schiffsraum, Cajüten,
Bedienung, Administration ect; alles geht in einem entsetzlichen Schlenderjan
& Subordination ist eine ziemlich unbekannte Größe. Das ungünstige Wetter
verspätete unsere Ankunft in Lissabon
um einen halben Tag. Von dort aus schrieb ich Deiner Frau zwei Zeilen in aller
Eile, als letztes Lebewohl von Europa.
(Ich wußte nämlich nicht wohin Dir adressiren & so richtete ich meinen
Brief nach Hlubosch an Deine Frau). Lissabon
trägt einen ganz eigenthümlichen Charakter: an einigen Stellen sieht man noch die
Trümmer des großen Erdbebens; andere Plätze & Promenaden tragen vollkommen den eleganten Stempel einer großen
Haupt- & Residenz Stadt; während in vielen andern Straßen & Vorstädten
ein so entschieden brasilianischer Effekt hervortritt, daß ich mich mehrmals
nach Bahia versetzt glaubte. – Am 29
Abends fuhren wir wieder den schönen Tajo
hinunter dem Meer zu. Jetzt erst war es möglich sich einen Begriff von unserer
Reisegesellschaft zu machen, die, vom ersten Choc der Seekrankheit größtentheils
erholt, anfing unser geselliges Leben in Ganz zu bringen. Vorherschend war das
spanische Element, wohl über 50 Personen von den 115, meist Passagiere für Buenos Ayres & Montevideo; ernsthafte, höfliche Leute, die nur selten Feuer faßten;
die Damen etwas coquet. Dann kamen die Franzosen; meist höchst uninteressante
Leute; Commis voyageurs, pacotilleurs & chevaliers d’industrie. Dann kamen die Brasilianer, darunter einige
von der hohen Aristokratie, Gutsbesitzer ect; mehrere mit Familie, wobei einige
recht hübsche, liebenswürdige Senhoritas.
Sämtliche waren leicht kenntlich an den Augen, haaren & den überaus feinen
Händen & Füßen. – Die Portugiesen erfreuten sich der allgemeinen
Geringschätzung, als derjenigen Nation, welche von ihren drei Stammverwandten
nur die gemeinen Instinkte, aber nichts von dem heldenmüthigen, wenngleich oft fanfaronen, Stolz & Ehrgefühl,
gemein hat. – Auch einige Deutsche befanden sich an Bord & sogar drei
Schweizer ließen ihr melodisches Idiom
vom Stappel. – Den Glanzpunkt sämtlicher Passagiere bildete die Compagnia lyrica vom Theater St. Carlos in Neapel, welche nach Rio de Janeiro angagirt war & sich mit
ihrem Impresario dahin begab. Drei
Damen & vier Herren, sämtlich äußerst angenehme, fröhliche, gebildete
Leute, die nicht wenig dazu betrugen uns die Reise zu einen wahren Fest zu
machen.
Neptun spielte uns
jedoch übel mit; schon die Ausfuhr ins Meer vom Tajo aus war sehr schlimm; draußen
aber bekamen wir einen solchen Sturm, daß ich nicht hätte auf einem Segelschiff
sein mögen. Volle drei Tage dauerte der Spaß. Alle Lücken geschloßen, das
Verdeck unter Wasser, die Maschine stark beschädigt, ohne einen Zoll vorwärts
zu kommen; so verbrachten wir 3 ziemlich unangenehme Tage.
Endlich am 3 October legte sich der Sturm & wir fuhren
mit doppelter Dampfkraft & vom Passatwind begünstigt nach St. Vincent, auf dessen Rhede wir am 7
früh anckerten. Ich wollte du könntest diese fürchterlich zerklüftete, zerißene
Inselgruppe sehn; etwas Trostloseres Unheimlicheres kann es nicht geben. Jahre
vergehen dort ohne daß ein Tropfen Regen fällt; einmal soll es 8, sage acht,
Jahre lange nicht geregnet haben. Die Rhede, von allen Seiten durch die
senkrechten Felswände der sie umschließenden 3 Inseln, geschloßen, scheint
weder Ausgang noch Eingang zu haben; mich mahnte sie etwas an den Thuner See; nur
in der Mitte steigt ein kolossaler Obelisk aus dem Wasser, auf dessen Spitze
eben ein Par Seeadler ihren Horst gebaut hatten. Ich verbrachte hier einen
recht genußreichen Tag, indem ich in Begleitung eines jungen Spaniers, seiner
Schwester & meines guten Fernrohrs die Gegend, vom Morgen bis zum Abend,
durchreiste; am Strand sammelte ich schöne Muscheln & Madreporen. Am Abend
fuhren wir aus & nun gings bei herrlichem Wetter nach Pernambuco, dem brasilianischen Venedig, wo wir am 14 Abends
ankamen.
Von da bis Bahia
hatten wir wieder äußerst heftigen Südwind, so daß wir erst am 16 Abends in die
prachtvolle Bai von Bahia einliefen.
Hier erfuhr ich zu meinem großen Leid daß das Dampfschiff, das mich nach Ilhéos
bringen sollte, den selben Tag früh Morgens ausgefahren war, & daß ich mich
volle 15 Tage sterblich in Bahia
langweilen mußte. Endlich am 1 November
trat ich meine letzte Etage an & kam am 2 Morgens, unter mancherlei Gefühlen
in Ilhéos ein. Hier wartete mir mein Schwiegervater mit den Pferden &, wie
die wilde Jagd zogen wir aus, zuerst nach seiner Pflanzung & endlich nach
meiner Victoria. Mein Einzug erfolgte
auf feierliche Weise: meine Frau empfing mich aber unter Thränen & dem
schmerzlichen Aufruf: "meine Kinder!"
Jetzt läuft alles wieder im gewohnten Geleise &, wäre das
Haus nicht so still & leer, in Folge der Abwesenheit der drei Kinder, so würde
mir meine ganze Reise nach Europa als ein Traum erscheinen. – Ich fand Alles in
bester Ordnung vor, Dank meiner Frau; die Erndte war leider sehr schlecht, was
ich übrigens im Voraus wußte; dafür sind die Preise ganz fabelhaft hoch.
Du bist jetzt in Prag & regalirst Dich mit Schnee, Eis
& entlaubten Bäumen. Grüße mir Deine Frau von ganzem Herzen & ganzer
Seele, ich habe sie unendlich lieb gewonnen; ebenso Deine Schwiegermutter. Wir
waren doch ein herrliches vierblätteriges in Kleeblatt in Hlubosch. Den kleinen Berti
grüße ich natürlich auch. Meine Frau empfiehlt sich den freundlichen Andenken
Aller. Nun leb wohl mein lieber Bruder; Du brauchst mit der Antwort durchaus
nicht zu eilen. Du hast des Schreibens so schon so viel. – A propos – Prost Neujahr!
Dein
Treuer Bruder
F. Steiger
Grüße an Dolphi & Deine andern Schwäger; Hoffentlich
geht es mit Eugen noch nicht so schlimm als man fürchtete.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen