Mittwoch, 10. August 2016

12/11/1861 (Albert)

Victoria den 12 November 1861.

Mein lieber Albert

Da bin ich nun wieder in meinen häuslichen Laaren; nicht ohne einige sehnsüchtige Erinnerung an Europa. – Ich erzähle jetzt meine Reise, seit unserer flüchtigen Trennung auf dem Bahnhof in Neuchatel (wo du mir noch auf einen Besuch Hoffnung machtest). Die Kinder waren ganz außer sich vor Freude wieder nach Colombier zu kommen & waren auf dem Bahnhof daselbst gar nicht zu halten bis sie zu Hause waren. Mir war Das ein wahrer Trost & der beste Beweis ihrer Zufriedenheit mit ihrem Loos. Uns ging es anders, wenn Du Dich noch erinnerst, als wir, nach unserer ersten Ferienreise nach Bern, wieder nach Neuchatel zurückkehrten. Barrelet, als Präsident des Comiters der landwirthschaftlichen Ausstellung des Cantons Neuchatel, war den ganzen Tag bis spät in die Nacht beschäftigt, indem die Ausstellung am 19 September eröffnet wurde. Die Kinder gingen mit wahrer Begierde in die Schule, & so verbrachte ich zwei traurige Tage, fast ganz allein. Am 19 gegen Mitag kahm endlich die lange gefürchtete Stunde, die des Abschieds von meinen Kindern; mir wurde dabei so unwohl, daß ich mich nicht mehr aufrecht erhalten konnte; den Kindern schien es wenig zu Herzen zu gehen. Soll ich mich darüber freuen oder betrüben?

Langsam fuhr unser Zug die steile Bahn den Jura hinauf bis Pontarlier: eine prachtvolle, wildromantische Gegend. Von dort bis Salin geht es nach altpatriarchalischer Art auf der Dilligence; ich saß auf der Imperiale um besser sehn zu können. Ein nebelichtes, kaltes Wetter gab uns das Geleit durch die endlosen, traurigen Einöden der Franche Comtée bis kurz vor Salin, wo die Straße durch eine herrliche Staatswaldung von kolossalen Fichten geht, deren Anblick in mir wehmüthige Erinnerungen an Hlubosch erweckte. Von Salin gings dann wieder auf der Eisenbahn, bei prächtigem Mondschein nach Paris, wo der Zug um 5 Uhr früh anlangte. Hier blieb ich bis zum 23 Morgens. Fröhlich waren diese drei Tage eben nicht für mich: Das Hôtel, die Boulevards, Jardin des Tuileries, Bois de Boulogne, Alles erweckte in mir den Vergleich meines Aufenthalts vor nicht drei Monathen & meines damaligen. Im Juni trug ich einen ganzen Himmel von Freude & Hoffnung in der Brust; im September bewegte mich nichts als der Schmerz der Trennung von so vielen Lieben & von euern herrlichen Europa.

Was ich vor meiner Abreise von Brasilien gefürchtet, war eingetroffen. Anfangs fühlte ich mich in Europa, selbst bei den allernächsten Angehörigen, ziemlich entfremdet & verwaist, & sehnte mich nach meinem häuslichen Herd & meinen Urwäldern. Bald aber wurde mir so heimisch & so wohl zu Muthe, daß die Sehnsucht nach Brasilien sich ins Gegentheil verwandelte & der Abschied von dem geistig gebildeten, civilisirten, & dabei doch so gemüthvollen, herzlichen europäischen Leben mir entsetzlich schwer wurde. Des Abschieds von Eltern, Geschwistern & Kindern gar nicht zu gedenken. Jetzt fühle ich mich höchst unglücklich; meine Victoria, wenn bisheriges El dorado ist mein Botany bai geworden: mit der Zeit wird sich das hoffentlich bessern. – In Paris brachte ich zwei Abende mit Vetter Rudi zu; er scheint mir viel ernsthafter geworden zu sein; möglicher weise ist dies auch eine optische Täuschung meiner trübsinnigen Gemüthsstimmung. – In einem Restaurant in welchen wir zu Mittag speisten trafen wir auch einst ein brasilianisches Ehepar, welches eben seine Kinder zur Erziehung nach Europa brachte: ein sonderbares Zusamentreffen von Umständen! diese Analogie unserer beiderseitigen Lagen; nur lebt dieses Ehepar noch ganz in Hoffnung & Zukunft, während für mich nichts mehr von Europa übrig blieb als Erinnerungen.

Von Paris nach Bordeaux reiste ich absichtlich bei Tage um mir die vielgepriesene Touraine & Guyenne anzusehn; meine Erwartung wurde aber vollkommen getäuscht, denn etwas Einförmigeres, Langweiligeres giebt es kaum, als diese schlecht cultivirten unbegränzten Ebenen. In Bordeaux kam ich den 23 September gegen 10 Uhr Nachts an. Mein Platz auf dem Paquet war bereits genommen, die Paßangelegenheiten bald beendet & so blieb mir fast der ganze Tag vom 24ten um mich in der Stadt herumzutreiben: eine höchst interessante charakteristische Stadt. Hier machte ich die Bekanntschaft der Frau des Hrn. Von Rüte, welcher vor Zeiten unsere Schwester Therese heirathen wollte, &, ohne letzterer zu nahe zu treten, glaube ich sagen zu dürfen daß er nicht schlechter bei dieser Wahl gefahren ist; insofern man nämlich, über den Werth einer Person, in einer einstündigen Visite sich ein Urtheil bilden darf. – Am 25 gegen Mittag führen wir auf einem kleinen Dampfer die Garonne hinab bis Poliac, wo wir den herrlichen Dampfer Le Béarn bestiegen & sofort, um 4 Uhr Nachmittags, in See stachen. Das Wetter war stürmisch, die See gieng hoch & die Welle & Wind waren uns entgegen; daher fuhren wir langsam & die meisten Passagiere waren seekrank. Das Schönste an Bord war der Esssaal, ein Ruffel auf dem Deck, von 32 Metres Länge & 10 Breite; weiß laquirt mit goldenenen Einfaßungen & Verzierungen, dazu zahlreiche große Spiegel & 12 vortreffliche Oehlgemälde; das Mobiliar grün mit Gold von Palissander. Ebenso war auch unser Tisch der Art, daß die besten Hôtels von Paris nichts Vorzüglicheres liefern können. Es war ein wahres Elysium für Gastronomen. Alles andere war aber dafür um so schlechten; Schiffsraum, Cajüten, Bedienung, Administration ect; alles geht in einem entsetzlichen Schlenderjan & Subordination ist eine ziemlich unbekannte Größe. Das ungünstige Wetter verspätete unsere Ankunft in Lissabon um einen halben Tag. Von dort aus schrieb ich Deiner Frau zwei Zeilen in aller Eile, als letztes Lebewohl von Europa. (Ich wußte nämlich nicht wohin Dir adressiren & so richtete ich meinen Brief nach Hlubosch an Deine Frau). Lissabon trägt einen ganz eigenthümlichen Charakter: an einigen Stellen sieht man noch die Trümmer des großen Erdbebens; andere Plätze & Promenaden tragen vollkommen den eleganten Stempel einer großen Haupt- & Residenz Stadt; während in vielen andern Straßen & Vorstädten ein so entschieden brasilianischer Effekt hervortritt, daß ich mich mehrmals nach Bahia versetzt glaubte. – Am 29 Abends fuhren wir wieder den schönen Tajo hinunter dem Meer zu. Jetzt erst war es möglich sich einen Begriff von unserer Reisegesellschaft zu machen, die, vom ersten Choc der Seekrankheit größtentheils erholt, anfing unser geselliges Leben in Ganz zu bringen. Vorherschend war das spanische Element, wohl über 50 Personen von den 115, meist Passagiere für Buenos Ayres & Montevideo; ernsthafte, höfliche Leute, die nur selten Feuer faßten; die Damen etwas coquet. Dann kamen die Franzosen; meist höchst uninteressante Leute; Commis voyageurs, pacotilleurs & chevaliers d’industrie. Dann kamen die Brasilianer, darunter einige von der hohen Aristokratie, Gutsbesitzer ect; mehrere mit Familie, wobei einige recht hübsche, liebenswürdige Senhoritas. Sämtliche waren leicht kenntlich an den Augen, haaren & den überaus feinen Händen & Füßen. – Die Portugiesen erfreuten sich der allgemeinen Geringschätzung, als derjenigen Nation, welche von ihren drei Stammverwandten nur die gemeinen Instinkte, aber nichts von dem heldenmüthigen, wenngleich oft fanfaronen, Stolz & Ehrgefühl, gemein hat. – Auch einige Deutsche befanden sich an Bord & sogar drei Schweizer ließen ihr melodisches Idiom vom Stappel. – Den Glanzpunkt sämtlicher Passagiere bildete die Compagnia lyrica vom Theater St. Carlos in Neapel, welche nach Rio de Janeiro angagirt war & sich mit ihrem Impresario dahin begab. Drei Damen & vier Herren, sämtlich äußerst angenehme, fröhliche, gebildete Leute, die nicht wenig dazu betrugen uns die Reise zu einen wahren Fest zu machen.

Neptun spielte uns jedoch übel mit; schon die Ausfuhr ins Meer vom Tajo aus war sehr schlimm; draußen aber bekamen wir einen solchen Sturm, daß ich nicht hätte auf einem Segelschiff sein mögen. Volle drei Tage dauerte der Spaß. Alle Lücken geschloßen, das Verdeck unter Wasser, die Maschine stark beschädigt, ohne einen Zoll vorwärts zu kommen; so verbrachten wir 3 ziemlich unangenehme Tage.

Endlich am 3 October legte sich der Sturm & wir fuhren mit doppelter Dampfkraft & vom Passatwind begünstigt nach St. Vincent, auf dessen Rhede wir am 7 früh anckerten. Ich wollte du könntest diese fürchterlich zerklüftete, zerißene Inselgruppe sehn; etwas Trostloseres Unheimlicheres kann es nicht geben. Jahre vergehen dort ohne daß ein Tropfen Regen fällt; einmal soll es 8, sage acht, Jahre lange nicht geregnet haben. Die Rhede, von allen Seiten durch die senkrechten Felswände der sie umschließenden 3 Inseln, geschloßen, scheint weder Ausgang noch Eingang zu haben; mich mahnte sie etwas an den Thuner See; nur in der Mitte steigt ein kolossaler Obelisk aus dem Wasser, auf dessen Spitze eben ein Par Seeadler ihren Horst gebaut hatten. Ich verbrachte hier einen recht genußreichen Tag, indem ich in Begleitung eines jungen Spaniers, seiner Schwester & meines guten Fernrohrs die Gegend, vom Morgen bis zum Abend, durchreiste; am Strand sammelte ich schöne Muscheln & Madreporen. Am Abend fuhren wir aus & nun gings bei herrlichem Wetter nach Pernambuco, dem brasilianischen Venedig, wo wir am 14 Abends ankamen.

Von da bis Bahia hatten wir wieder äußerst heftigen Südwind, so daß wir erst am 16 Abends in die prachtvolle Bai von Bahia einliefen. Hier erfuhr ich zu meinem großen Leid daß das Dampfschiff, das mich nach Ilhéos bringen sollte, den selben Tag früh Morgens ausgefahren war, & daß ich mich volle 15 Tage sterblich in Bahia langweilen mußte. Endlich am 1 November trat ich meine letzte Etage an & kam am 2 Morgens, unter mancherlei Gefühlen in Ilhéos ein. Hier wartete mir mein Schwiegervater mit den Pferden &, wie die wilde Jagd zogen wir aus, zuerst nach seiner Pflanzung & endlich nach meiner Victoria. Mein Einzug erfolgte auf feierliche Weise: meine Frau empfing mich aber unter Thränen & dem schmerzlichen Aufruf: "meine Kinder!"

Jetzt läuft alles wieder im gewohnten Geleise &, wäre das Haus nicht so still & leer, in Folge der Abwesenheit der drei Kinder, so würde mir meine ganze Reise nach Europa als ein Traum erscheinen. – Ich fand Alles in bester Ordnung vor, Dank meiner Frau; die Erndte war leider sehr schlecht, was ich übrigens im Voraus wußte; dafür sind die Preise ganz fabelhaft hoch.

Du bist jetzt in Prag & regalirst Dich mit Schnee, Eis & entlaubten Bäumen. Grüße mir Deine Frau von ganzem Herzen & ganzer Seele, ich habe sie unendlich lieb gewonnen; ebenso Deine Schwiegermutter. Wir waren doch ein herrliches vierblätteriges in Kleeblatt in Hlubosch. Den kleinen Berti grüße ich natürlich auch. Meine Frau empfiehlt sich den freundlichen Andenken Aller. Nun leb wohl mein lieber Bruder; Du brauchst mit der Antwort durchaus nicht zu eilen. Du hast des Schreibens so schon so viel. – A propos – Prost Neujahr!

                                                                               Dein Treuer Bruder

F. Steiger

Grüße an Dolphi & Deine andern Schwäger; Hoffentlich geht es mit Eugen noch nicht so schlimm als man fürchtete.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen