Sonntag, 31. Mai 2015

22/12/1882 (Albert)

Victoria den 22. Dezember 1882

(Zuckerrohr statt Kaffee Bohnen & Telegrafen)

Lieber Albert!

Es ist dies mal etwas lange gegangen bis ich auf Deinen letzten Brief von 19 April antworte. Wenn Du Diesen bekommst sind wir bereits in ein neues Jahr übertreten, welches ich Dir recht glücklich wünsche. Wie ich aus genaustem Brief sehe geht es Dir & Alexandrinen so gut als es eben bei zunehmenden Alter gehn kann & damit muß man sich eben zufrieden geben. Auch mich quälen meine Rheumatismen trotz Spezificum recht häufig; dazu ein nervöses Zittern & Schlaflosigkeit. Zwei widerwärtige Prozesse die ich zu führen habe tragen allerdings auch viel zu Letztern bei. Sonst geht es auch nicht brillant: In Folge der entsetzlichen Dürre von vorigen Sommer sind eine Masse von Caffeebäumen zu Grunde gegangen & bei den elenden Caffeepreisen habe ich keine Lust sie nachzupflanzen. Diese Preise sind keine momentane Baisse, wie sie bei jedem Handelsartikel eintreten kann, sondern dadurch bedingt daß auf der ganzen Erdkugel, wo es nur irgend angeht Caffee gepflanzt wird, so daß sich dessen Produktion in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht hat. Die Reaktion wird natürlich nicht ausbleiben; die niedern Preise werden den Consum vermehren & die Caffeepflanzer decouragiren bis wieder der frühere status quo, wenigstens annähernd, hergestellt ist. Das kann aber lange dauern. So habe ich mich denn entschloßen mich auf Zuckerrohr zu legen; habe bereits ein tüchtiges Aufbau der Zuckermühle nebst Brantweinbrennerei beschäftigt, so daß ich bis April 1884 anfangen kann Zucker & Rum zu fabriziren. Letzterer namentlich gibt sehr schöne Resultate. Ich bin natürlich selbst Baumeister & Mechaniker, als Arbeiter nur meine Neger; Alles Holzkonstruktion, da eiserne Maschinen hier nicht zu repariren sind, & schickt man ein Stück in die Eisengießerei nach Bahia so kann es möglicherweise dort bleiben bis man die ganze Ernte verloren hat. Zuckerrohr & Tabak sind eigentlich die wahren Pflanzen für die Provinz Bahia: für Caffee liegt sie zu nah am Aequator für Cakao zu weit; auch gedeiht es selbst im schlechtesten Boden. Bei Bahia sah ich Felder davon, allerdings in fettem schwarzen Lehmboden, das seit 60 Jahren jährlich geschnitten wurde, ohne je Dünger gesehen oder brach gelegen zu haben. Solches Land besitze ich allerdings nicht, aber einige 15 – 16 Jahre wird es wol in meinen bessern Stellen auch halten. Daß ich meinen existirenden Caffee & Cakao conservire & profitire versteht sich von selbst.

Daß ich so lange nicht im Salgado war hat nicht seinen Grund in Krankheit, wie Du vermuthest, sondern darin daß ich mich meiner Zuckermühle & der Prozesse wegen durchaus nicht von hier entfernen kann; meine Söhne verstehn gar nichts von Mechanik & Bauwesen, & dann könnten mir die Gerichte in Ilheos, während meiner Abwesenheit irgend einen schlechten Streich spielen. Denn ich bin auch mein eigner Advokat & habe Niemand der mich dort vertritt. Eine Heidenarbeit gerade zur Zeit wo die Arbeitskraft & das Gedächtniß stark im Abnehmen sind & ich gern etwas Ruhe haben möchte.

Meine Söhne helfen mir sonst so viel sie können; leider ist Fernandos Gesundheit in der letzten Zeit ziemlich baufällig geworden & da leider Thätigkeit sich auf Feldarbeit beschränkt kann er nicht viel thun. Alberto ist weniger zuverläßig als sein älterer Bruder, obwol er sich in der letzten Zeit bedeutend gebessert hat.

Kerubino, den ich nun seit bald drei Jahren nicht gesehn habe, ist immer bei seiner Eisenbahn in der Nähe von Rio angestellt; man ist überaus mit ihm zufrieden, belobt ihn öffentlich & privatim, aber diese Zufriedenheit ist rein platonischer Natur & seine Stellung wird um nichts verbessert, obwol die Bahn prachtvoll Dividenden zahlt. Sie ist gerade das Gegenteil den meisten hiesigen Eisenbahnen von welchen in einer englischen Zeitung, allerdings mit etwas Uebertreibung, stand: Sie fangen an einem Sumpf an, endigen an einem Baumstamm & durchlaufen eine Wüste. Auch hier in Ilheos wird eine Bahn nach dem Innern projektirt; diese würde allerdings in ganz entgegengesetzten Verhaltnißen sein: zwei wichtige Städte verbindend & durchweg fruchtbares zum Teil schon kultivirtes Land durchneidend. Mit Ausnahm der reichen, vollständig cultivirten & stark bevölkerten Provinzen von Rio & São Paulo, sind Eisenbahnen hier ein Anachronismus, ein Spielerei um der nationaler Eitelkeit zu schmeicheln. Die Regierung garantirt den Aktionären 7% so lange die Bahn diese 7% feucht selbst einbringt. Zu diesem Zinsfuß findet sich Kapital so viel man will in England. Nun wird recht verschwenderisch liederlich gebaut & wenn die Bahn fertig ist ebenso verwaltet; unsinnig hohe Fracht & Passagirpreise verlangt damit ja nicht zu viel Fracht oder Personen mitfahren & möglicherweise die Bahn einen Ertrag von 7% geben könnte, wodurch die Zinsengarantie der Regierung eingebüßt würde; am liebsten wäre es wol der Verwaltung die Züge führen ganz leer; das würde die Arbeit vermindern. Wenn nur jeden Tag ein Zug von Anfang bis zum Ende der Bahn über die Schienen humpelt so ist das Pensum gemacht. Ich selbst fuhr letzthin auf solcher Eisenbahn von Bahia nach einem 60 Kilometer entfernten kleinen Nest: wir waren 15 Personen & etwa 10 Centner Tabak – Alles was mitfuhr. Dagegen liefen neben der Bahn die alten traditionellen Maulthierzüge massenweise & schwerbeladen, den ganzen Transport vermittelnd. Ein wahrer Jux.

"Wir haben so & so viel tausend Kilometer Eisenbahn in unserer Provinz, damit werden wir die Emigration, wie in den Vereinigten Staaten, massenweise anziehn". Das einzige was aber bis jetzt massenweise erschienen ist sind Steuern & geht de mal en pis. Vor 20 Jahren wußte man hier gar nicht was das Wort Steuern bedeutet. Mit den Telegraphen, die gleichfalls ein Heidengeld kosten, ist es ebenso: sie dienen nur per Zufall hie & da. Als ich z. B. letzthin von Bahia hieher zurückkehrte telegraphirt ich kurz vor meiner Einschiffung um die Pferde nach Ilheos zu bestellen. 24 Stunden später in Ilhéos angekommen fand ich keine Pferde & zu Hause angelangt wußte niemand etwas von einem Telegramm. Da endlich als wir beim Mittagessen saßen, erschien mein Telegramm, 30 Stunden nachdem ich es aufgegeben. Und dabei kostet es ungefähr das vierfache von dem was man bei uns zahlt. Auch kann man nicht telegraphiren wenn man will. So z. B. wenn ich von hier nach Bahia telegraphiren will, kann ich es mir zwischen 7 & 9 Uhr Morgens & Abends thun. Aber auch das ist nicht sicher; & es ist mir schon vorgekommen nach dem Telegraphen Bureau eine Depesche zu schicken, & zwar zur vorschriftmäßigen Zeit, welche unverrichtet zurückkam: Der Herr Telegraphist sei fischen gegangen, hieß es.

Mit der Sklavenfrage hingegen geht es noch recht glimpflich & hat es kaum den Anschein daß so bald daran gerüttelt wird. Die Herr Deputirten würden allerdings am liebsten mit einem Federstrich die ganze Sklaverei im Lande abschaffen. Es sind fast durchgängig arme Advokaten die nie einen Sklaven besessen haben, mit Neid auf Diejenigen blicken die welche besitzen, dabei so bornirt daß sie nicht bedenken daß sie bei einer solchen Umwälzung, die fast alle Einkünfte des Staats ins Stocken bringen würde, ihre schönen Dieten verlieren würden. Kein großer oder kleiner Grundbesitzer sitzt in der Deputirten Kammer, kein Kaufmann, kein Fabrikant: nur Advokaten; das Proletariat im Frack; Leute die kein Interesse am Wohl & Weh des Landes nehmen; nicht einmal die notdürftigste Bildung besitzen, von Kenntnißen gar nicht zu sprechen. Zum Glück ist der Senat aus ganz andern Elementen zusamengesetzt. Dort sitzen fast ausschließlich nur die großen & reichen Grund- & Sklavenbesitzer. Daß die ein anderes Lied singen ist begreiflich. Die jüngern sind alle in Europa erzogen & aufgewachsen. Haben sie dort Antisklavische Grundsätze sich angeeignet, so haben sie gleichzeitig vernünftige Ideen bekommen & sind im Stande zu unterscheiden welcher Unterschied zwischen einer langsamen Reform & einer plötzlichen Katastrophe besteht. Es sind bereits Schritte gethan worden um Kulis von China kommen zu lassen; wol das einzig Thunliche; den europäische Emigration wird nie nach dem Norden von Brasilien kommen. Im Süden von Rio, wo bereits die gemäßigte Zoone beginnt ist das etwas Anderes. Auch existiren bereits in den südlichen Provinzen über eine halbe Million europäische Einwanderer, während in den nördlichen ihre Zahl verschwinden klein ist. Man würde auch gern Colonisten von Afrika kommen lassen; dem widersetzen sich aber die Engländer & Amerikaner, behauptend daß es nur ein erneuerter verkappter Sklavenhandel wäre. Und ich glaube sie hätten nicht ganz unrecht. Ich habe bereits  36 von den freigeborenen Sklavenkindern, die verpflichtet sind mir bis zum 21sten Jahr zu dienen; nachher sind sie frei. Das wird ein schönes Gesindel geben wenn vom Jahr 1893 ab jedes Jahr viele Tausende von diesen citoyens losgelassen werden. Einige wenige werden für sich arbeiten; die meisten aber Vagabundiren.

Mit Enkelkindern hat es bei mir keine Aussichten; meine verheiratete Tochter schein gar keine Lust zu haben dem verstorbenen Erstgeborenen einen Zweiten nachfolgen zu lassen; & was die Andern betrifft, sowol Herrn als Damen, herrscht vollstündige Ebbe in matrimonialer Hinsicht. Freier haben sich keiner präsentirt & die jungen Herrn, Kerubino nicht ausgenommen, haben nicht die geringste Lust sich ins Ehejoch zu beugen. Sämtliche Geschwister leben in intimster Freundschaft miteinander, haben es sehr gut beim alten Papa, so daß Keines Lust hat seine Lage zu verwundern. Dazu muß ein kräftiger Impuls von Außen kommen. Auch meine verheiratete Tochter macht sehr gern einen Abstecher hieher & beim Abschied gibt es immer einige Thränen, obwol sie sehr gut mit ihren Mann lebt.

Dieser Sommer ist glücklicherweise das Gegenteil von vorigen: Regen & immer Regen; unter andern Umständen würde man darüber klagen, aber nach der vorjährigen Calamität, freut man sich des Hausarrestes wenn man nicht hinauskann & des bodenlosen Kothes wenn man ausgeht;

Herzliche Grüße von mir & den Kindern an Euch Beide

Dein treuer Bruder


Ferdinand

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