Victoria den 10 April 1885
(A. S. - Familiensachen)
Lieber Albert!
Es sind wahrhaftig bereits vierzehn Monate vergangen seit
ich Dir zum letzten mal schrieb. Seit dem habe ich Deine beiden Briefe von 1
Mai 84 & vom 20 Februar 85 erhalten, von denen letzterer die frohe
Botschaft von der Verlobung Deines Sohnes enthält. Mich hat die Nachricht sehr
erfreut, ich hatte den lieben Jungen (pardon, heut ein großer Herr) immer sehr
gern, & wünsche ihm alles Glück & Segen zu seiner Verbindung &
bedaure nur der Hochzeit nicht beiwohnen zu können, ja nicht ein mal ein
hübsches Hochzeitgeschenk schicken zu können: denn die Umständlichkeiten &
Plackereien mit der hiesigen Douane machen solche Sendungen fast zur
Unmöglichkeit. So treibt denn unser Stammbaum bald ein neues Reif. Meine Söhne
werden nicht so bald zu seinen Wachstum beitragen. Die beiden ältere sind zu
verständig um unpassende Heiraten einzugehen, & Alberto, der eigentlich ein
wahrer Lumpacius Vagabundis geworden
ist, & mir schwere Sorgen macht hat wenigstens bis jetzt den einzigen
dummen Streich nicht verübt, der zur Vervollständigung der langen Reihe die er
auf dem Gewißen hat noch fehlt, nämlich eine unpaßende Heiraten einzugehn. Deine
Sorgen & Kummer wegen der katolischen Enkel begreife ich. Niemand
verabscheut das Pfaffentum mehr als ich, diese Pest die so gewaltig im sich
greift daß selbst der große Bismark ihr kaum Grenze zu stecken vermag. Auch mir
drohte das selbe Unglück aber zum Glück ist Plutus
hier mächtiger als der Nachfolger Petri.
Als ich heiraten wollte bekam ich vom Erzbischof eine wahre Apoteker Rechnung,
für allen möglichen Unsinn, die sich auf etwa 4000 f. belief. Da traf ich eines
Tags im Laden des ersten Juweliers von Bahia
einen Quidam, dem der Römling aus allen Knopflöchern heraussah & der
ein hübsches Bracelet kaufen wollte,
das ihm aber zu teuer war. Als er fortging frage ich den Ladenbesitzer, einen
guten Bekannten H. Borel aus Neuchatel, Vetter unseres Borel bei H. Diacon, wer der Herr sei. Die Antwort lautete es sei der Sekretär &
alter ego des Erzbischofs. Sogleich
kaufte ich das Bracelet, machte meine
Aufwartung bei der Eminenz, gab mein Präsent ab, hielt einen jedenfalls sehr
rührenden speech, so daß ich Quittung
für die verlangte Summe & überhaupt freie Hand für alle Familienangelegenheiten
bekam. Ich konnte meine Kinder ad libitum
selbst israelitisch oder mahomedanisch erziehen. Der Zweck heiligt die Mittel, &
die Dona secretaria bekam ihr schönes
Bracelet. So wurden denn, meinem &
meiner Frau Willen gewiß unsere Söhne protestantisch & die Töchter
katolisch. Und wenn ich inmitten so vieler & schwerer Sorgen &
Bekümmerniße einen ungetrübten & wohltätige Trost genieße so ist es das
über alle Maßen freundschaftliche & zärtliche Verhaltniß das zwischen
meinen Kindern herrscht. Nicht ein mal kleine Chikanen wie sie bei uns vorkamen
ereignen sich. Und meine verwitwete Tochter, die wieder ihren Platz im
väterlichen Hause eingenommen hat, genießt einen wahren Cultus von Seite ihrer
Geschwister & sie ist die eifrigste Katolikin.
Alberto hat mich
seit anderthalb Jahren verlaßen, angeblich um eine neue Pflanzung zu gründen,
in Wirklichkeit aber um seine Zeit zu verbummeln, Schulden zu machen & die
gemeinsten Lokale zu frequentiren. Ich weiß nicht wie das enden wird. Fernando spricht schon lange davon sich
selbständig zu etabliren; aber es fehlt
ihm an Initiative einen Entschluß zu fassen, dabei ist er ein ziemlich bequemer
Herr, der gern gut lebt; er weiß daß er es nirgends so gut haben wird als bei
mir; & deßhalb verschiebt er die Ausführung seines Entschlußes von einen
Tag zum andern.
Kerubino ist mir
beinahe eine unbekannte Persönlichkeit geworden, er ist immer noch auf seiner
Eisenbahn in der Nähe von Rio,
verdient ein schönes Geld & laßt sich nicht mehr, wie früher, von guten
Kameraden anzapfen & leer auspumpen.
Meine älteste Tochter Libussa
ist also nach kaum fünfjähriger Vermählung, im Alter von 25 Jahren, zur Witwe
geworden & wieder heimgekehrt. Ihr Mann hatte ihr ein hübsches Vermögen
hinterlassen; da sie aber keine Kinder hatten & der Vater ihres Mannes noch
lebte, mußte sie mit diesem teilen, wobei es der schlaue Italiener so
anzustellen wußte daß ihm der Lövenanteil zufiel.
Constança, die
zweite, ist nun auch in den Brautstand getreten. Ihr Zukünftiger trägt zwei
sehr vornehme Namen Magalhães Castro,
ist ein netter nur etwas zu junger Mann & etwas was man in Preußen Neferendarius
nennt; sie wird mit ihm nach Bahia
ziehen, fürchte aber daß sie dort nicht sehr fette Suppen kochen wird.
Die beiden Jüngsten sind die die am meisten Leben &
Abwechslung in die Monotonie bringen: Immer singend, lachend, mit Blumen in den
Haaren, im Kampf mit Schlangen &
Aligatoren; mit Hunden & Pferden beschäftigt; sehr wenig Neigung zu
sitzender Beschäftigung. Als vor anderthalb Jahren meine Neger revoltirten &
mir zu Leibe gehen wollten, hatten die Beiden am Fenster Poste gefaßt, bereit
Jeden niederzuschießen der mir zu nahe gekommen wäre.
Endlich, um auch etwas über mich zu sagen, muß ich dankbar
anerkennen daß es mit der Gesundheit ganz erträglich geht. Die Rheumatismen
sind fast gänzlich verschwunden &
die Augen sind in einem Zustand daß 3 – 4 Stunden Lesen oder Schreiben
bei flackerndem Licht mich gar nicht incommodiren. Auch sonst arbeitet die
Maschine noch ziemlich kräftig, denn als ich bei meiner letzten Reise nach Salgado von einem jungen Baum, bei
Gelegenheit des Ueberspringens eines Grabens, gefaßt & mit Federkraft erst
in die Höhe & denn ein Paar Schritte seitwärts geschleudert wurde, daß mein
alter Brustkasten in allen Fugen krachte & ich glaubte nichts mehr auf
dieser Welt zu thun zu haben als meinem Reitknecht zu befehlen mich stante pede einzuscharren. Aber ich
erholte mich & hatte einige Monate heftige Schmerzen in der Bruste. Nun
ist aber Alles wieder im besten Zustande Ich kann nießen, husten, schreien so
gut als wäre nie das Geringste passirt.
Wenn es mit der Gesundheit ganz gut geht kann ich leider
nicht dasselbe vom geschäftlichen Standpunkt aus sagen. Die bevorstehende
Sklavenemanzipation ist ein Ding das den vollständigen Ruin des Landes
bedeutet. Es soll ein Kapital von über vier Millarden gekündigt werden; denn
dieser Wert repräsentiren die ungefähr anderthalb Millionen Sklaven die in
Brasilien existiren. Von diesem Kapital zehren nicht nur die Sklavenbesitzer,
nicht nur die Brasilianer, sondern die gesamte Menschheit die Caffee, Cakao, Zucker,
Tabak, Baumwolle ect consumirt. Natürlich sind aber die Besitzer dieser anderthalb Milionen
Sklaven diejenigen die am empfindlichsten man kann sagen tödlich von diesem
Plan getroffen werden.
Anderthalb Millionen nützlicher Staatsangehörige, die
konsumiren & produziren werden zu ebenso viel Strolchen umgewandelt, die
weder das eine noch das andere thun. Zahlreiche Familien ins Elend gestürzt;
der Nationalreichtum um Dreiviertel vermindert & dazu wahrscheinlich der
Staatsbankrot. Aber man spricht von Menschenrechten, Menschenwürde, Zeitgeist,
Aufklärung & Freiheit, & damit ist Alles abgetan: Juvat justitia pereat mundus! Bei der Schandwirtschaft in
Staatshaushalt sind die Kassen immer leer & an eine einigermaßen equitable
Entschädigung nicht zu denken. Es soll also keine Expropriation sondern ein
einfacher Raub ausgeführt werden. Die Herrn Deputirten sitzen in Rio & brüten über Gesetzen; viel Kluges wird nicht
dabei herauskommen, denn es sind fast außschließlich hungrige Advokaten, die
nichts besitzen als ihre lose Zunge & ihren schwarzen Frack, & die mit
Haß & Neid auf Alle die blicken, die etwas besitzen. Grundbesitzer,
Kaufleute, Fabrikanten kommen so gut wie nie in die Deputirtenkammer; dagegen
häufig in den Senat. Die Senatoren sind meist große Grund- &
Sklavenbesitzer & sträuben sich natürlich mit aller Macht gegen die
Schwindeleien der Deputirten. Kaiser & Minister sind Abolitionisten mit
Leib & Seele. Die Sitzungen werden geheim gehalten & den Telegraphen
Beamten ist es streng verboten Telegramme mit politischer Tendenz zu befördern.
Alles ist natürlich höchst gespannt auf das Resultat dieser Verhandlungen, & alle Arbeiten &
Geschäfte im ganzen Land stocken in Erwartung einer Entscheidung. Daß unter
diesen Umständen Sklaven & Grundbesitztum ganz entwertet sind versteht sich
von selbst.
Wir gehen einer bösen Zeit entgegen, & für mich der ich
nun alt & ruhebedürftig werde, doppelt schlimm. Aber für die Paar
Lebensjahr wird nun sich schon durchbeißen. Le
Brésil est un pays de ressources. Wären meine Töchter verheiratet so zöge
ich zu Kerubino, so aber muß ich als Gluckhenne aushalten. Meine Prozeße
schlafen den Schlaf des Gerechten in den Archiven des Appelationsgerichts. Nur
hie & da , wenn ich einem von den Räthen einen Caffesack zum Präsent schicke,
geht es einen Schritt vorwärts. Mit meiner Zucker- & Rumfabrik geht es
recht flott; nur fürchte ich daß das Eröffnungsfest zugleich der Schwanengesang
sein wird. Denn wenn ich keine Neger mehr habe kann ich die ganze Bescherung in
Brand stecken & in der Asche Kastanien rösten.
Die Runkelrübenmagnaten werden sich freuen wenn sie die
Conkurenz von etwa einer Million Tonnen Rohrzucker los werden. Und die Cikorienpflanzer
werden zu Millionären wenn einmal die sechs Millionen Sack Brasil-Caffee auf
dem Weltmarkt fehlen werden. Das ist der Gang der Welt: der Untergang des Einen
bedingt den Aufschwung des Andern. «C‘est la bascule du monde»
wie Victor Hugo sagt.
Ich adressire diesen Brief nach Marienberg. Wenn Du mir
schreibst adressire an C. F. Keller & Ca. – Bahia.
Schließlich wünsche ich Euch Allen einen recht vergnügten &
zufriedenen Hochzeitstag.
Daß wir uns in diesem Leben wiedersehn ist mehr als
unwahrscheinlich; ich müßte denn irgend ein reichhaltiges Diamantenlager
entdecken & sonst auch die ganze Familie geborgen haben.
So leb denn wol mein lieber Albert; recht herzliche Grüße an
Alexandrine, Berti & auch der
jugendlichen Braut empfehle ich mich zu Gnaden. Meine Kinder, speziel Fernando & Alberto gratuliren dem stets in guten Andenken Vetter, &
empfehlen sich bestens der unbekanten Cousine. Alle senden nach hiesiger
Landessitte Onkel & Tante ein muito
apertado abraço: eine enge, energische Umarmung.
Dein Bruder
Ferdinand
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