Donnerstag, 28. Mai 2015

10/04/1885 (Albert)

Victoria den 10 April 1885

(A. S. - Familiensachen)

Lieber Albert!

Es sind wahrhaftig bereits vierzehn Monate vergangen seit ich Dir zum letzten mal schrieb. Seit dem habe ich Deine beiden Briefe von 1 Mai 84 & vom 20 Februar 85 erhalten, von denen letzterer die frohe Botschaft von der Verlobung Deines Sohnes enthält. Mich hat die Nachricht sehr erfreut, ich hatte den lieben Jungen (pardon, heut ein großer Herr) immer sehr gern, & wünsche ihm alles Glück & Segen zu seiner Verbindung & bedaure nur der Hochzeit nicht beiwohnen zu können, ja nicht ein mal ein hübsches Hochzeitgeschenk schicken zu können: denn die Umständlichkeiten & Plackereien mit der hiesigen Douane machen solche Sendungen fast zur Unmöglichkeit. So treibt denn unser Stammbaum bald ein neues Reif. Meine Söhne werden nicht so bald zu seinen Wachstum beitragen. Die beiden ältere sind zu verständig um unpassende Heiraten einzugehen, & Alberto, der eigentlich ein wahrer Lumpacius Vagabundis geworden ist, & mir schwere Sorgen macht hat wenigstens bis jetzt den einzigen dummen Streich nicht verübt, der zur Vervollständigung der langen Reihe die er auf dem Gewißen hat noch fehlt, nämlich eine unpaßende Heiraten einzugehn. Deine Sorgen & Kummer wegen der katolischen Enkel begreife ich. Niemand verabscheut das Pfaffentum mehr als ich, diese Pest die so gewaltig im sich greift daß selbst der große Bismark ihr kaum Grenze zu stecken vermag. Auch mir drohte das selbe Unglück aber zum Glück ist Plutus hier mächtiger als der Nachfolger Petri. Als ich heiraten wollte bekam ich vom Erzbischof eine wahre Apoteker Rechnung, für allen möglichen Unsinn, die sich auf etwa 4000 f. belief. Da traf ich eines Tags im Laden des ersten Juweliers von Bahia einen Quidam, dem der Römling aus allen Knopflöchern heraussah & der ein hübsches Bracelet kaufen wollte, das ihm aber zu teuer war. Als er fortging frage ich den Ladenbesitzer, einen guten Bekannten H. Borel aus Neuchatel, Vetter unseres Borel bei H. Diacon, wer der Herr sei. Die Antwort lautete es sei der Sekretär & alter ego des Erzbischofs. Sogleich kaufte ich das Bracelet, machte meine Aufwartung bei der Eminenz, gab mein Präsent ab, hielt einen jedenfalls sehr rührenden speech, so daß ich Quittung für die verlangte Summe & überhaupt freie Hand für alle Familienangelegenheiten bekam. Ich konnte meine Kinder ad libitum selbst israelitisch oder mahomedanisch erziehen. Der Zweck heiligt die Mittel, & die Dona secretaria bekam ihr schönes Bracelet. So wurden denn, meinem & meiner Frau Willen gewiß unsere Söhne protestantisch & die Töchter katolisch. Und wenn ich inmitten so vieler & schwerer Sorgen & Bekümmerniße einen ungetrübten & wohltätige Trost genieße so ist es das über alle Maßen freundschaftliche & zärtliche Verhaltniß das zwischen meinen Kindern herrscht. Nicht ein mal kleine Chikanen wie sie bei uns vorkamen ereignen sich. Und meine verwitwete Tochter, die wieder ihren Platz im väterlichen Hause eingenommen hat, genießt einen wahren Cultus von Seite ihrer Geschwister & sie ist die eifrigste Katolikin.

Alberto hat mich seit anderthalb Jahren verlaßen, angeblich um eine neue Pflanzung zu gründen, in Wirklichkeit aber um seine Zeit zu verbummeln, Schulden zu machen & die gemeinsten Lokale zu frequentiren. Ich weiß nicht wie das enden wird. Fernando spricht schon lange davon sich selbständig zu etabliren;  aber es fehlt ihm an Initiative einen Entschluß zu fassen, dabei ist er ein ziemlich bequemer Herr, der gern gut lebt; er weiß daß er es nirgends so gut haben wird als bei mir; & deßhalb verschiebt er die Ausführung seines Entschlußes von einen Tag zum andern.
Kerubino ist mir beinahe eine unbekannte Persönlichkeit geworden, er ist immer noch auf seiner Eisenbahn in der Nähe von Rio, verdient ein schönes Geld & laßt sich nicht mehr, wie früher, von guten Kameraden anzapfen & leer auspumpen.

Meine älteste Tochter Libussa ist also nach kaum fünfjähriger Vermählung, im Alter von 25 Jahren, zur Witwe geworden & wieder heimgekehrt. Ihr Mann hatte ihr ein hübsches Vermögen hinterlassen; da sie aber keine Kinder hatten & der Vater ihres Mannes noch lebte, mußte sie mit diesem teilen, wobei es der schlaue Italiener so anzustellen wußte daß ihm der Lövenanteil zufiel.

Constança, die zweite, ist nun auch in den Brautstand getreten. Ihr Zukünftiger trägt zwei sehr vornehme Namen Magalhães Castro, ist ein netter nur etwas zu junger Mann & etwas was man in Preußen Neferendarius nennt; sie wird mit ihm nach Bahia ziehen, fürchte aber daß sie dort nicht sehr fette Suppen kochen wird.

Die beiden Jüngsten sind die die am meisten Leben & Abwechslung in die Monotonie bringen: Immer singend, lachend, mit Blumen in den Haaren, im Kampf mit Schlangen &  Aligatoren; mit Hunden & Pferden beschäftigt; sehr wenig Neigung zu sitzender Beschäftigung. Als vor anderthalb Jahren meine Neger revoltirten & mir zu Leibe gehen wollten, hatten die Beiden am Fenster Poste gefaßt, bereit Jeden niederzuschießen der mir zu nahe gekommen wäre.

Endlich, um auch etwas über mich zu sagen, muß ich dankbar anerkennen daß es mit der Gesundheit ganz erträglich geht. Die Rheumatismen sind fast gänzlich verschwunden &  die Augen sind in einem Zustand daß 3 – 4 Stunden Lesen oder Schreiben bei flackerndem Licht mich gar nicht incommodiren. Auch sonst arbeitet die Maschine noch ziemlich kräftig, denn als ich bei meiner letzten Reise nach  Salgado von einem jungen Baum, bei Gelegenheit des Ueberspringens eines Grabens, gefaßt & mit Federkraft erst in die Höhe & denn ein Paar Schritte seitwärts geschleudert wurde, daß mein alter Brustkasten in allen Fugen krachte & ich glaubte nichts mehr auf dieser Welt zu thun zu haben als meinem Reitknecht zu befehlen mich stante pede einzuscharren. Aber ich erholte mich & hatte einige Monate heftige Schmerzen in der Bruste. Nun ist aber Alles wieder im besten Zustande Ich kann nießen, husten, schreien so gut als wäre nie das Geringste passirt.

Wenn es mit der Gesundheit ganz gut geht kann ich leider nicht dasselbe vom geschäftlichen Standpunkt aus sagen. Die bevorstehende Sklavenemanzipation ist ein Ding das den vollständigen Ruin des Landes bedeutet. Es soll ein Kapital von über vier Millarden gekündigt werden; denn dieser Wert repräsentiren die ungefähr anderthalb Millionen Sklaven die in Brasilien existiren. Von diesem Kapital zehren nicht nur die Sklavenbesitzer, nicht nur die Brasilianer, sondern die gesamte Menschheit die Caffee, Cakao, Zucker, Tabak, Baumwolle ect consumirt. Natürlich sind aber die Besitzer dieser anderthalb Milionen Sklaven diejenigen die am empfindlichsten man kann sagen tödlich von diesem Plan getroffen werden.

Anderthalb Millionen nützlicher Staatsangehörige, die konsumiren & produziren werden zu ebenso viel Strolchen umgewandelt, die weder das eine noch das andere thun. Zahlreiche Familien ins Elend gestürzt; der Nationalreichtum um Dreiviertel vermindert & dazu wahrscheinlich der Staatsbankrot. Aber man spricht von Menschenrechten, Menschenwürde, Zeitgeist, Aufklärung & Freiheit, & damit ist Alles abgetan: Juvat justitia pereat mundus! Bei der Schandwirtschaft in Staatshaushalt sind die Kassen immer leer & an eine einigermaßen equitable Entschädigung nicht zu denken. Es soll also keine Expropriation sondern ein einfacher Raub ausgeführt werden. Die Herrn Deputirten sitzen in Rio &  brüten über Gesetzen; viel Kluges wird nicht dabei herauskommen, denn es sind fast außschließlich hungrige Advokaten, die nichts besitzen als ihre lose Zunge & ihren schwarzen Frack, & die mit Haß & Neid auf Alle die blicken, die etwas besitzen. Grundbesitzer, Kaufleute, Fabrikanten kommen so gut wie nie in die Deputirtenkammer; dagegen häufig in den Senat. Die Senatoren sind meist große Grund- & Sklavenbesitzer & sträuben sich natürlich mit aller Macht gegen die Schwindeleien der Deputirten. Kaiser & Minister sind Abolitionisten mit Leib & Seele. Die Sitzungen werden geheim gehalten & den Telegraphen Beamten ist es streng verboten Telegramme mit politischer Tendenz zu befördern. Alles ist natürlich höchst gespannt auf das Resultat dieser  Verhandlungen, & alle Arbeiten & Geschäfte im ganzen Land stocken in Erwartung einer Entscheidung. Daß unter diesen Umständen Sklaven & Grundbesitztum ganz entwertet sind versteht sich von selbst.

Wir gehen einer bösen Zeit entgegen, & für mich der ich nun alt & ruhebedürftig werde, doppelt schlimm. Aber für die Paar Lebensjahr wird nun sich schon durchbeißen. Le Brésil est un pays de ressources. Wären meine Töchter verheiratet so zöge ich zu Kerubino, so aber muß ich als Gluckhenne aushalten. Meine Prozeße schlafen den Schlaf des Gerechten in den Archiven des Appelationsgerichts. Nur hie & da , wenn ich einem von den  Räthen einen Caffesack zum Präsent schicke, geht es einen Schritt vorwärts. Mit meiner Zucker- & Rumfabrik geht es recht flott; nur fürchte ich daß das Eröffnungsfest zugleich der Schwanengesang sein wird. Denn wenn ich keine Neger mehr habe kann ich die ganze Bescherung in Brand stecken & in der Asche Kastanien rösten.

Die Runkelrübenmagnaten werden sich freuen wenn sie die Conkurenz von etwa einer Million Tonnen Rohrzucker los werden. Und die Cikorienpflanzer werden zu Millionären wenn einmal die sechs Millionen Sack Brasil-Caffee auf dem Weltmarkt fehlen werden. Das ist der Gang der Welt: der Untergang des Einen bedingt den Aufschwung des Andern. «C‘est la bascule du monde» wie Victor Hugo sagt.

Ich adressire diesen Brief nach Marienberg. Wenn Du mir schreibst adressire an C. F. Keller & Ca. – Bahia.

Schließlich wünsche ich Euch Allen einen recht vergnügten & zufriedenen Hochzeitstag.

Daß wir uns in diesem Leben wiedersehn ist mehr als unwahrscheinlich; ich müßte denn irgend ein reichhaltiges Diamantenlager entdecken & sonst auch die ganze Familie geborgen haben.

So leb denn wol mein lieber Albert; recht herzliche Grüße an Alexandrine, Berti & auch der jugendlichen Braut empfehle ich mich zu Gnaden. Meine Kinder, speziel Fernando & Alberto gratuliren dem stets in guten Andenken Vetter, & empfehlen sich bestens der unbekanten Cousine. Alle senden nach hiesiger Landessitte Onkel & Tante ein muito apertado abraço: eine enge, energische Umarmung.
                                                                                                                            
Dein Bruder Ferdinand




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