Samstag, 30. Mai 2015

20/02/1884 (Albert)

(A.S. - Diamantengraben Expedition)

Lieber Albert

Es ist recht lange her seit ich Deinem letzten Brief vom 9 April erhielt & schon über ein Jahr seit dem ich Dir zum letzten mal schrieb. Seit dieser Zeit sind wir beide nun wieder älter geworden & einige Steine von den Ruinen abgebröckelt. Uebrigens, in Euren supercivilisirten Welttheil & Zeitalter wird man es bald dahin bringen Gesundheit & Jugend auf elektrischen Wege künstlich herzustellen. Bei uns zu Lande führt der nährende & zerstörende Sauerstoff fort in brutaler Weise, sein Regiment aufrecht zu erhalten. Und so fühle ich daß es mit mir in der letzten Zeit ziemlich schnell bergab geht. Nur eine Reise nach Europa könnte mich wieder nothdürftig ausflicken, aber daran ist nicht zu denken so lange meine Töchter nicht verheiratet sind. Dazu sind gar keine Aussichten vorhanden; für hier sind sie viel zu vornehm & traut sich keiner der auf Freiersfüßen geht einen Antrag zu machen; für die Bahianer Börsenmagnaten sind sie nicht reich genug. Und so wandern sie langsam den Weg nach dem Giritzimoos. Alberto ist bereits auf eigene Faust etablirt etwa acht Meilen von mir entfernt. Fernando ist immer noch bei mir, ein recht braver Junge, aber ohne den nöthigen Takt, Verstand & Autorität um mich als Geschäftsführer & Familienhaupt zu vertreten.

Und so habe ich die traurige Aussicht nich mehr nach Europa zu kommen. Mit meiner Gesundheit geht es wie mit der Elbe & der Fluth. Ich gebrauche jetzt die elektrohomöopatischen Mittel des Grafen  Mattei, die mir Elise schickt & befinde mich dabei nicht schlecht. Uebrigens halte ich die ganze Medizin in Pausch & Bogen für Schwindel. Auch meine Liane, die als Spezifikum gegen Rheumatismen aufspielen wollte, hat sich als solcher gezeigt. Ich hoffe & wünsche daß Du, nebst Frau & Kind, Euch so wol befindet als möglich & noch recht lange lebt damit wir uns möglicherweise doch noch ein mal sehn.

Mit meiner Diamantenexpedition, die ich nun gerade vor einem Jahr ausführte, ist es nicht sonderlich brillant abgelaufen: Einer meiner besten Neger & vier Pferde tod, an 1000 Negertaglöhnen verloren; als Benefiz ein halb Dutzend hübscher Diamanten für meine Töchter & die romantische Erinnerung an Etwas das nicht Jeder zu sehn bekommt. Die nicht unbedeutenden Auslagen an baar Geld sind durch den Verkauf der gefundenen Diamanten vollständig gedeckt worden. Darin war ich glücklicher als die meisten Andere die ihr gesamtes Capital opfern mußten. Auch bleibt mir noch ein Haus, & zwar eins der besten, mitten im Diamantenterrain, welches ich mehr aus Eitelkeit als aus Berechnung behalte & nicht verkaufen will. Wer weiß ob mich nicht noch ein mal ein phantastischer Wind in diese Gegend verbläst. Es hat mir dort ganz ungemein gut gefallen. Für abentheuerliche Urwaldexpeditionen bin ich längst blasirt. Aber diese nervendurchzuckende Aufregung des Diamantenfiebers ist etwas Köstliches, durch nichts Anderes zu ersetzen. Die Schiffer auf dem Fluß & die Maulthiertreiber sind allerdings das scheußlichste Lumpenpack das sich erdenken läßt; auch die zahlreichen Juden die dort als Käufer cirkuliren & beschmieren haben durchaus nichts anziehendes. Dagegen sind die wahren Garimpeiros, diejenigen die die Diamanten ausgraben fast durchgängig wahre Gentlemen, mit denen es sich ganz ausgezeichnet leben läßt: Ein Ehr- & Ehrlichkeitsgefühl wie man es nie bei Leuten der niedern Klassen antrifft; eine angeborene Courtoisie & Gefälligkeit die den Neuangekommenen mit Bewunderung & Dankbarkeit erfüllt. Hie & da setzt es allerdings ein Paar Messerstriche, aber nur in Folge vom Kartenspiel oder wegen einer der zahlreichen Diamantensyrenen, die sich dort herumtreiben. Manchmal auch bei der Arbeit selbst, deren Beschwerlicher Theil das Ausschöpfen des Grundwassers aus der oft an 12 Fuß tiefen Grube – Catara – bildet. Das Einfachste wäre allerdings eine Pumpe, aber, da ein Jeder bei Eröffnung einer neuen Catara die feste Zuversicht hat es sei seine letzte, indem er dort Diamanten in genügendem Quantum finden werde um das ganze Geschäft aufzugeben, begnügt er sich mit Kübeln, Eimern ect, mit denen er das Wasser nach dem stets in nächster Nähe befindlichen Bach trägt. In reichhaltigem Diamantengrund liegen diese Cataras – etwa 20 Fuß lange & 10 Fuß breite Gruben – schachbrettartig dicht aneinander, durch einem Damm der oft kum einen Fuß dick ist von einander geschieden. So ein spekulativer Spaßvogel steht dann recht früh auf & gießt das Wasser seiner Grube in die seines Nachbarn; Dieser wartet bis sein Nachbar zum Essen geht & restituirt ihm sein wasser nebst Zinsen. Sieht der Eine nun daß das Niveau des Wasserstandes bei seinem Nachbarn tief steht so stößt er heimlich mit dem Brecheisen ein Loch durch die dünne Abtheilungswand & läßt das Niveau sich herstellen, während der Andere nach Kräften ausschöpft, worauf er dann das Loch mit einem Lehmklumpen verstopft & auch anfängt gehorig zu schöpfen ohne zu merken daß der Andere auch dieselbe Pfifigkeit gehabt hat wie er. Es ist ein hidraulischer Krieg bei dem viel gelacht etwas gezankt & hie & da zugestochen wird. Das Rationelste wäre natürlich das Wasser mit einer kleinen Handpumpe & einem Schlauch der bis nach dem Bach geht zu entleeren. Aber wer am endemischen Diamantenfieber leidet ist eben nicht rationell. Bei der Anlage jeder neuen Catara geht er mit der festesten Zuversicht aus Werk daß diese nun seine letzter ist; daß er in dieser genug Diamanten finden wird um das ganze Geschäft aufzugeben & als reicher Mann heimzukehren. Wozu da noch theure Pumpen bestellen & kaufen? Aber die Catara gibt auch nichts, oder sehr wenig. Darauf folgt das apirektische Stadieum im Fieber, nebst Complikation von Katzenjammer – ein ungeheurer Diamantenkater – Und nun wird wieder von vorne angefangen. Oder aber mit eingekneiftem Schweif nach Hause marschiert.

Hätte ich meinen Negern die Hälfte der Arbeit, die sie in den Minen leisteten, auf der Pflanzung zugemutet, so wäre nach einem Monat die eine Hälfte davongelaufen & die andere Hälfte im Lazareth gelegen. Im Garimpo arbeiteten sie aber mit wahrer Raserei, froh & fröhlich bei viel schlechterer Verpflegung als sie gewohnt sind. Magnetismo Diamantino! Auch ich habe seine Wirkung empfunden als ich in der Hütte des größten Käufers daselbst meine beiden Hände, bis ans Handgelenk, in eine Art Salatschüßel tief in Diamanten vergrub, & darin herumwählend die blendende Strahlenbrechung & das elektrische Frösteln in Augen & Nerven empfand. Mit Recht sagt der Garimpeiro, daß wer einmal am Rand einer Catara getrunken hat dem schmeckt kein anderes Wasser mehr. Auch ich habe förmliches Heimweh nach den Diamantenminen.

Am Neujahrstag feierte ich die Inauguration meiner neuen Zucker- & Rumfabrik. Es waren etwa 30 Eingeladene zugegen. Alles ging ganz ausgezeichnet von Statten & ich freute mich über mein wolgelungenes Werk: mein Werk, denn ich habe Alles selbst gemacht; Architekt, Mechaniker & Ingenieur. Eine kleine Episode, die nicht im Festprogramm stand, ereignete sich dadurch daß der Zucker in den Kesseln in Raserei gerieth & desertierte, so daß das ganze Lokal von einer süßen Sündfluth überfluthet wurde, zum größten Gaudium der Negerkinder die den Zuckerbrei, wenn auch nicht im reinsten Zustand aufleckten, aber zum nicht geringen Schrecken der Herrn & Damen die ihre Toiletten in großer Gefahr & sich selbst in einem hochpotenzirten Dampfbad sahen. L’appétit vient en mangeant, & so scheint dieses Schwitzbad die Herrschaften zu noch gewaltigerm Schwitzen disponirt zu haben durch rasendes Tanzen bei 28o  R. während 24 Stunden.

Es ist doch etwas Herrliches um die Jugend, die an solchen Strapazen ihre Hauptfreude hat. Für mich bestand das Benefiz uns der Selbstzufriedenheit über mein gut geratenes Engenho & einer schlaflosen Nacht nebst unregelmäßiger Essenszeit. Es wird aber noch an die drei Monate dauern bis Alles fertig ist; bis dahin ist auch mein Zuckerrohr zum Schneiden reif, & es wird dann energisch an den Zucker & Rum gegangen. Das Zuckerrohr ist etwas ganz famoses: man verscharrt ganz oberflächlich ein Stück von ein Fuß Lange & nach einem Jahr stehn da 15 - 20 Rohre von 10 & mehr Fuß Lange. Kein Unkraut kann dagegen aufkomen & Neger & Hausthiere leben alle gut daran & werden fett. Hingegen muß man mit einer Schaar von ungebetenen Gästen in permanenten Kampf sein: die kleinsten wie eine Maus, die größten wie ein Dachs, die überall das Zuckerrohr anbeißen, in Folge dessen es sauer wird, & kommen etliche solche Rohre mit den andern in die Fabrikation so ist der ganze Sud verloren denn er kristallisirt nicht. Die Bestien werden mit Jägern, Hunden, Fallen & Gift zerstört; aber das hilft wenig. Ueberhaupt ist es entsetzlich was man hier Alles bekämpfen & zerstören muß. Der europäische Landwirth behauptet daß seine Verrichtung hauptsächlich darin besteht der Natur nachzuhalten. Der hiesige Landwirth ist aber vor Allem Krieger, & da der Zweck des Krieges die Zerstörung ist, so ist derjenige der beste der am schonungslosesten zerstört. Die Zeit des Wiederherstellens & des friedlichen Nebeneinanderlebens von Natur & Mensch wird hier auch kommen; einstweilen ist sie aber noch fern. Und wer in diesem Kampf auf Leben & Tod einen Augenblick schwach wird, der unterliegt. Es wird Dir fabelhaft scheinen wenn ich Dir sage daß ich einzig für den Artikel Ameisen, jährlich an zwei Zentner Arsenik & ein viertel Zentner Quecksilbersublimat verbrauche.

Im Salgado geht Alles seinen ruhigen Gang & war der Ertrag an Cakao in diesem Jahr recht schön. Es ist bald ein Jahr daß ich nicht dort war. Indianer, sowol sogenannte Aillirte als auch feindliche sind keine dort. Anfangs schien es daß die Diamantenader direkt nach dem Salgado ging. Plötzlich hat sie sich aber nach Westen gewendet.

Was macht denn Berti? Bleibt er Militär oder wird er auch bald Gutsbesitzer & respektabler Ehemann? Grüß ihn bestens von mir.

Du & Alexandrine scheint beide ein recht beschauliches Leben zu führen: bald hier, bald dort, überall die Crème des Conforts abschöpfend. Eure Photographie steht auf meinem Schreibtisch & ich sehe mir sie an während ich Euch schreibe.

Mit den Sklaven fängt es an recht unheimlich zu werden: Insubordination & Schlechtigkeit nehmen über Hand, von Emissären aufgewiegelt & von den Behörden auf die Skandalöste Art beschützt

Das ist eben die Signatur des Jahrhunderts: Alles gleich machen.

Die Kinder grüßen Euch aufs aller freundschaftlichste & ich thue ein Gleiches.

                                                                                                                  Dein treuer Bruder

                                                                                                                              Ferdinand


Victoria 20 Februar 1884

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