25 – 09 – 1886
(A. S. - Letzter Brief Ferd. starb
May 1887)
Lieber Albert
Allerdings bekam ich einen wahren Schrecken beim Offen
Deines letzten Briefes als ich die gedruckte Schrift las; ich glaubte es sei
irgend eine Belangung von Bundeswegen oder dergleichen. Mein Schreck
verwandelte sich jedoch in Neid als ich sah wie bequem Du es hast um zu
schreiben. Auch ich möchte solches Schreibinstrument besitzen. Du brauchst es
der Augen wegen & ich als Ersatz für meine Hand, die in Folge der
Rheumatismen der Morphineinspritzungen fast paralitisch, jedenfalls sehr
schwach & zittend ist. Im Uebrigen kann ich über meine Gesundheit nicht
klagen, habe sogar einen sehr guten Winter verbracht, fast ohne Rheumatismen.
Aber Schlaf & Appetit sind dahin; zum Glück sind die Augen gut, so daß ich
Stunden lang im Bett lesen kann. Das Schlimmste ist jedoch die Schwäche in den
Beinen, die mir das Gehen sowol wie das Reiten fast unmöglich macht. Du kannst
dir denken wie es mit der Feldarbeit geht bei der der Herr fast nie zugegen
ist. Auch für geistige Arbeit bin ich bereits recht untüchtig, kann keine
Adition machen ohne Fehler, vergeße Alles & habe überhaupt eine früher nie
gekannte Abneigung für jede anstrengende Beschäftigung. Ich werde vor der Zeit
alt, bevor ich nach mit meiner Aufgabe fertig bin. Auch Du klagst über dasselbe
Uebel. Unsere Eltern waren eigentlich viel solider als wir. Auch Alexandrinen
scheint es nicht zum Besten zu gehen obwol sie jünger ist als wir.
Ich bin dies mal im Rückstand mit meinem Brief; mein letzter
war vom 10 April vorigen Jahrs; seit dem
habe ich den Deinen vom 15 November & zuletzt den von 20 Juli erhalten. Für Deine Glückwunsche zu meinem 61sten Geburtstag
danke ich herzlich & erwidere sie ebenfalls zu Deinem Avancement zur Großpapa
Würde. Ich bekleidete dieselbe nur während acht Monaten. Auch der Frau Großmama
gratuliere ich zur kleinen Enkelin, an der sie eine große Freude haben wird.
Wie du bereits erfahren hast, hat meine zweite Tochter Constança auch geheiratet, & zwar
einen jungen Ingenieur, hübscher, angenehmer Mann, etwas zu jung, mit wenig
Vermögen, aus der alten historischen Familie der Magalhães Castro. Kerubino
hat ihm eine sehr schöne Anstellung bei derselben Eisenbahn verschafft bei der
er eine hervorragende Stellung einnimmt, so zwar daß er, Luizinho, unmittelbar an seine Person attachirte. Und sobald der
Palast fertig sein wird den er baut & der ihm als Dienstwohnung, nebst
seinem Stab, dienen wird werden sie alle drei zusamen wohnen. Es freut mich
dies ungemein. Kerubino ist eine ebenso zärtlicher aufopfernder Bruder als
Sohn, & bei seiner einflußreichen Stellung & schönen peküiären Lage,
wird unter seinen schützenden Fittigen, das Nest des jungen Ehepaars recht warm
& sicher gebettet sein.
Bei der Hochzeit passirte ein kleines Malheur, wie es nur
hier vorkommen kann. Dieselbe war am 2 Juni & am 3 wurde das Dampfschiff
erwartet. Nach wild durchtanzter Nacht machten wir uns früh Morgens nach Ilheos auf den Weg; die ganze
Gesellschaft gab das Geleit. Seit sie zum Empfang des Erzherzogs Maximilian
ausgelaufen war war meine Ruderflottilie nie so komplet & so brillant. Auf
bunt beflaggten und blumenbekränzten Canot
voraus die Musik; dann die andern im Wettlauf, jedes das andere an
Schnelligkeit übertroffen wollend, eine wahre Regate, bei der es eigentlich ein
Wunder war daß kein Unfall passirte. In Ilheos angekommen fiel eine kalte Douche auf den allgemeinen Jubel. Ein Telegramm meldete daß das Dampfschiff Havarie gemacht hatte & nicht vor 2 – 3
Tagen kommen würde. Ich habe allerdings ein schönes Haus in Ilhéos, aber nichts darin als die Möbel;
keinerlei Tischzeug, Bettzeug etc, welches ich jedes mal mitbringe wenn ich zu
längern Aufenthalt nach der Villa
fahre. Die feurige Jugend machte sich zu aber gar nichts daraus. Die Musik marschirte
im großen Saal auf & mußte zum Tanz aufspielen, & nun wurde wieder
gerast wie wenn man nicht schon zwei Nächte hintereinander durchgetanzt hätte.
Zu dem lumpigen Nest ist nichts zu finden; & so mußten
die abgesetzten Ruderer, nach kurzer Rast, wieder nach Victoria zurück um das Nötige zu holen. Qui dort dine sagen die Franzosen; man könnte auch sagen Qui danse dine. Die guten Leutchen
merkten kaum wie lange es dauerte bis die verlangten Lebensmittel im
Naturzustande ankamen, nur erst gekocht & präparirt wurden um aufgetragen
zu werden. Ich hatte natürlich nicht mitgetanzt, hatte daher einen riesigen
Hunger als, nach beinahe vierundzwanzig stündigem Fasten, ich mich an einen wohlbesetzten Tisch setzen
konnte. So haben denn die Neuvermählten ihr junges Eheleben mit einer kleinen
Hungerkur begonnen. Hoffentlich kein böses Omen! Sie haben bereits geschrieben &
sehn natürlich, durch den Rauch von Locomotiven
& Officinen, den Himmel voller
Geigen hängen.
Mit der Sklavenemanzipation geht es recht flott vorwärts.
Die Gesetzfabrikanten & der Kaiser wollen eben damit aufräumen – coute que coute – wenn auch das Land zu
Grunde geht – juvat justitia, pereat
mundus. Von der Ausleihen die Brasilie in England macht kommt nicht ein cent ins Land; Alles ist für Bezahlung
dort schuldiger Zinsen & Zinseszinsen. Und die guten Leute bedenken nicht
daß wenn sie keine Landesprodukte nach Europa
mehr schicken werden Europa ihnen
auch nicht mehr seine Industrie Produkte schicken wird. Wenn Manchester aufhört seine Baumwollen
Stoffe zu senden so kann möglicherweise das Feigenblatt hier Mode werden. Die
Neger sind ganz demoralisirt & es ist eine Qual mit ihnen auszukommen, sogar
die Bedienung in Haus, Hof & Küche gibt einem mehr Galle zu fressen als
Pasteten. Die Neger die früher das Stehlen nicht den Namen nach kannten fingen
an eine gewiße Virtuosität darin zu verlangen; das gehört ja auch zu den
Menschenrechten, die ihnen heut zu Tage mit solcher Verschwendung octoyirt
werden daß für die Weißen gar keine mehr übrig bleiben. Und dennoch muß man
eingestehn daß die Negersklaven auf einer viel höhere Rute von Sittlichkeit
stehen als Eure Proletarier. Bei solch absoluter von Oben garantirten
Straflosigkeit, solch ewiger Hetzerei & öffentlichen Aufruf zur Revolte,
bei dem totalen Mangel an Polizei & Militär, wie er hier herrscht, muß man sich
wundern daß nicht Alles außer Rand & Band geht & daß angestammte
Pflichtgefühl noch nicht ganz erloschen ist. Zum großen Aerger der Menschheit
Beglücker. Unter solchen Verhältnißen würden dieselben Euer schönes Europa in
einen Sumpf von Blut & Asche verwandeln. Auch ich habe unter meinen Negern
ein halbes Dutzend treu ergebene Leute, die sich durch nichts irre leiten
lassen, wenngleich die Andere ihnen das Leben recht sauer machen.
Da ich die beschwerliche Reise nach Salgado nicht mehr aushalten konnte, & es in Folge dessen recht
liederlich zuging & der Ertrag immer geringer wurde, habe ich mich, mit
blutendem Herzen entschließen müßen die Pflanzung zu verkaufen; natürlich mit
bedeutendem Verlust. Wir müssen uns eben hier wie Schiffbrüchige betrachten:
Alles was gerettet werden kann ist reiner Profit.
Mein Zucker- & Rum Fabrik geht recht gut, nur in diesem
Jahr werde ich fast die ganze Ernte einbußen, da, in Folge der ganz ausnahmslosen
Trockene, mir die Wasserkraft zum Mahlen fehlt. Meine großen Cakaopflanzungen
wachsen nach & nach heran & werden bald in Ertrag kommen. Es ist dies
eine wahre Faulenzer Cultur, die man allenfalls mit den trägen Landesbewohner bewältigen
kann; nur gedeiht er leider nur in ausgezeichnet gutem Boden, von dem ich nicht
allzuviel besitze. Mit Caffe habe ich bereits abgewirtschaftet, & die
früher in London & Bordeaux berühmte Marke F S ist beinahe verschwunden.
Ich bin hier ganz allein mit meinen drei Töchtern; mein
Söhne sind fort & meine Beamten auch haben mich verlassen. Arbeit gibt es
da wohlauf, aber wenig Fähigkeit dieselbe zu verrichten.
Nun lebe wohl. Herzliche Grüße für Dich, für Alexandrine &
für die Jugend von uns Vieren.
Dein treuer
Bruder
Ferdinand
Victoria den 25 September 1886
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